Eine DocCheck-Umfrage brachte überraschende Ergebnisse zutage: Die Welt scheint durch Rx-Boni nicht unterzugehen. Standesvertreter halten trotz ihrer Niederlage am Versandverbot fest. Rein theoretisch gibt es Alternativen.
Abwarten, aufgeben, rebellieren – wir wollten wissen, wie Apotheker auf Hermann Gröhes Scheitern reagieren. Sein heiß ersehntes Rx-Versandverbot ist am Koalitionspartner SPD gescheitert. Bis zur Bundestagswahl rechnet niemand mehr mit gesetzlichen Regelungen. Umso mehr überrascht, dass lediglich 21 Prozent aller Umfrageteilnehmer bereit wären, ihre Forderungen auf der Straße zu vertreten. Weitere 67 Prozent kreuzten an: „Alles halb so wild. Wir werden auch das überleben.“ Kaum ein Kollege rechnet mit personellen Konsequenten (sieben Prozent) oder ist bereit, den Job zu wechseln (vier Prozent). Machen wir weiter wie bisher? Ergebnisse der Umfrage auf Doccheck vom 7. 4. 2017 zum Rx-Versandverbot (Aufgrund der Komma-Aufrundungen ergeben sich in der Summe 104 %)
In einer Videobotschaft spart ABDA-Präsident Friedemann Schmidt nicht an Kritik mit der großen Koalition. Er spricht von „sachfremden Argumenten“ und von einer „Kraftprobe“. „Zuallererst sind die politischen Parteien zum Handeln aufgefordert. Insbesondere diejenigen, die den Gesetzentwurf haben scheitern lassen, müssen sagen, wie sie jetzt Schaden von den deutschen Apotheken abwenden wollen.“ Die generelle Strategie stellt Schmidt jedoch nicht infrage. https://www.youtube.com/watch?v=uK4QQT_XfKY „Ich erwarte von der ABDA eine Verschärfung der Maßnahmen“, schreibt ein User. Und ein Kollege ergänzt: „Mich enttäuscht unsere Stammesvertretung, und dafür zahlen wir alle!“ Mit dieser Meinung ist er nicht allein. „Dieses Mal hat sich klar bestätigt, dass die Apothekervertretung unfähig ist, die Interessen seiner Mitglieder zeitnah und mit effektiven Maßnahmen zu vertreten.“ Weder mit dem aktuellen noch mit dem ursprünglich geplanten Vergütungsmodell sei eine Zukunft möglich. Welche Möglichkeiten gibt es?
„Ganz wichtig: Gleiches Recht für alle! Alles andere ist unlauterer Wettbewerb“, fordert ein Leser bei der Umfrage. Reagiert der Gesetzgeber nicht, diskriminiert er automatisch heimische Inhaber. Sie müssen sich im Unterschied zur europäischen Konkurrenz an die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln halten. Krankenkassen träumen von Selektiv- oder Exklusivverträgen mit Versendern jenseits der deutschen Grenzen. Versicherte könnten unter Druck gesetzt werden, zumindest manche Präparate bei Versandapotheken zu erwerben. Hier würden größere Präsenz- oder Versandapotheken aus Deutschland nur allzu gerne mitspielen. Sie deuten an, selbst Rx-Boni zu geben und notfalls eine höchstrichterliche Entscheidung zu erwirken. Die Bundesregierung wird Schwierigkeiten haben, dann noch sachliche Argumente zu finden.
Um einen Dämpfer zu vermeiden, bleibt als Option, die Preisbindung und das Sachleistungsprinzip aufzugeben. Patienten müssten in Vorleistung treten und später von ihrer Versicherung eine Erstattung beantragen. Das bedeutet mehr Druck, auf Preise zu achten. Nur große Versand- oder Präsenzapotheken hätten die Möglichkeit, mitzubieten. Kleinere Betriebsstätten gingen vielerorts zu Grunde. Ob die von Ökonomen diskutierte Strategie, räumliche Monopolsituationen auszunutzen und mit deutlich höheren Preisen einzusteigen – auch das ist ja möglich – tatsächlich zum Überleben ausreicht, ist fraglich. Bleibt als Problem, dass Versender viele Leistungen nicht erbringen. „Deshalb muss eine neue Gebührenordnung her, welche die Versandapotheken durch einen finanziellen Ausgleich auch an hoheitlichen Aufgaben, Rezeptur, Kühlware, Notfalldepot und Notdienst, Lieferservice am selben Tag ans Krankenbett mit persönlicher Beratung beteiligt“, fordert ein Mitglied der DocCheck-Community. Apropos Beratung: Bei einer Befragung von 300 Ärzten zeigte sich, dass Mediziner regelmäßig Pharmazeuten vor Ort kontaktieren. Zu Versendern haben sie keinen heißen Draht: Wie oft haben Mitarbeiter einer Arztpraxis Kontakt mit Apotheken vor Ort oder mit ausländishen Versandapotheken? Basis: 300 Ärzte. © IFH Köln
Doch zurück zur Preisgestaltung. Hält der Gesetzgeber am Sachleistungsprinzip generell fest, könnte er Vergünstigungen auch bei ein bis zwei Euro pro Präparat deckeln. Dieser Form des milderen Wettbewerbs sind GKVen auch nicht abgeneigt – schließlich haben sie Anspruch auf Boni, und nicht der Patient. Sie müssten auch neu über Zuzahlungen, Rabattverträge und Festpreise nachdenken. Ganz so einfach ist die Sache trotzdem nicht. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem umstrittenen Urteil jegliche Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel kritisiert. Experten übertragen diese Argumentation auf gedeckelte Boni. Eine Obergrenze wäre für Versender aus anderen EU-Staaten irrelevant.
Alle bisher diskutierten Modelle haben eine Gemeinsamkeit. Sie setzen auf Honorare für die Aushändigung von Arzneimitteln. Ein User schreibt dazu: „Apotheker müssen öffentlichkeitswirksam ihre Kompetenzen aufzeigen. Es berät ein studierter Arzneimittelfachmann, kein besserer Fachverkäufer. Dem Patienten muss der Wert von Beratung aufgezeigt werden.“ Mit der Beratung als fixer, existenzsichernder Komponente eines neuen Honorarmodells hätten Apotheker eine Perspektive unabhängig vom Koalitionsgeplänkel einer Bundesregierung. Ansonsten bleibt, wie ein User kommentiert, nur, „die Parteien zu wählen, die berechtigte Interessen von Apothekern und Angestellten vertreten“. Genau hier setzen Standesvertreter mit ihren Kernpositionen zur Bundestagswahl an. „Um die pharmazeutische Versorgung auch zukünftig patientennah auf hohem Niveau anbieten zu können, ist das Honorarsystem der Apotheken weiter auszubauen“, schreibt die ABDA. Dazu gehören unter anderem „eine leistungsgerechte Berechnungsmethode und die Möglichkeit der Honorierung neuer Dienstleistungen“.