Deutschland braucht dringend eine Zuckersteuer, sagt der eine. Die Besteuerung zuckerhaltiger Lebensmittel wäre sogar kontraproduktiv, argumentiert der andere. Was spricht für die Einführung einer Zuckersteuer, was dagegen? Zwei Experten im Interview.
Weltweit wird derzeit über viele unterschiedliche Maßnahmen gegen zu hohen Zuckerkonsum diskutiert, wie wir kürzlich berichteten. In diesem Beitrag wird nun konkret über den Nutzen einer Zuckersteuer in Deutschland debattiert. Dr. Dietrich Garlichs, ehemaliger Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft und Politologe, ist von dem Nutzen einer solchen Steuer überzeugt. Prof. Dr. med. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf, hält die Einführung einer Zuckersteuer für wenig sinnvoll. Die Interviews in schriftlicher Ausführung: Prof. Dr. Stephan Martin: „Also zu erst einmal muss ich sagen: Zucker ist gefährlich und Zucker ist nicht gut. Überhaupt gar keine Frage. Nur ob wir den Zucker aus den Lebensmitteln, wo er eigentlich gar nicht reingehört, eliminieren können, indem wir eine Zuckersteuer einführen, halte ich für eine große Frage. Weil Zucker ist nicht die einzige Sache, die dazu führt, dass die Menschen dick werden.“ Dr. Dietrich Garlichs: „Eine Zuckersteuer würde die Adipositas-Welle stoppen und zurückdrängen, umdrehen und das brauchen wir dringend um die enorme Zahl der Diabetiker, Herz-Kreislauf-Erkrankten, Gelenkserkrankungen und auch verschiedene Krebsarten zurückzudrehen.“
Prof. Dr. Stephan Martin: „Wenn ich jetzt Kartoffelpüree zu mir nehme, habe ich einen höheren glykämischen Index, als wenn ich Zucker zu mir nehme. Und wenn ich also eine Zuckersteuer hätte, wäre es ja dem Kartoffelpüree unfair gegenüber. Also bräuchte ich dann auch eine Kartoffelsteuer, eine Brötchensteuer – gerade Brötchen führen zu extrem schnellen Aufnahmen von Zucker – ich bräuchte dann eine Pastasteuer. Die Reissteuer dürfen wir dann natürlich auch nicht vergessen.“ Dr. Dietrich Garlichs: „Also alle anderen Maßnahmen haben bisher nicht funktioniert. Aufklärung und Information. Worauf die deutsche Gesundheitspolitik bisher allein gesetzt hat. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, sowohl westliche Länder, wie auch asiatische Länder, die Zuckersteuern eingeführt haben und der Absatz, zum Beispiel von zuckrigen Getränken, ist da deutlich heruntergegangen. Zum Beispiel in Kalifornien, in Berkeley ist der Absatz von zuckrigen Getränken um 21 Prozent – gleich im ersten Jahr – gesunken. Das sind natürlich sehr ermutigende Zahlen.“ Prof. Dr. Stephan Martin: „Also Zucker in Limonade ist in der Tat eine nicht so günstige Angelegenheit. Nur ob ich jetzt Limonade trinke oder Orangensaft – den frisch gepressten – da gibt es auch keinen Unterschied und ich glaube, diese Kollegen wollen nicht auf dem Orangensaft auch die Zuckersteuer drauf haben.“
Dr. Dietrich Garlichs: „Wir würden die Zuckersteuer an der Ampelkennzeichnung orientieren, die ja europaweit bekannt und konsentiert ist. Und die Ampel springt auf Rot bei mehr als 15 Prozent Zuckergehalt eines Lebensmittels. Das wäre eine sehr pragmatische Regelung. Und die Höhe, da würden wir vorschlagen die Zuckersteuer an der Mehrwertssteuer-Skala auszurichten. Lebensmittel, die kein Rot nach der Ampel bekommen, belassen wir bei den 7 Prozent. Und Lebensmittel, die ein Rot haben, bei Zucker, Salz oder Fett, 19 Prozent. Und wie gesagt zuckrige Getränke, die ein besonderer Treiber von Übergewicht sind, vielleicht mit einer Sonderstufe von 29 Prozent.“
Prof. Dr. Stephan Martin: „Also wenn wir die Nährwert-Ampel, so wie sie aktuell diskutiert wird nehmen, dann wird es richtig lustig. Also wenn wir dann Olivenöl haben, das einzige Lebensmittel von dem wir eine prospektive, randomisierte Studie mit der PREDIMED-Studie haben, womit Herzinfarkte und Schlaganfälle reduziert werden können, ist Fett, ist Öl, also würde es rote Punkte bekommen. Es wird einfach nur Unsinn werden und ich kann davor wirklich nur warnen.“ Dr. Dietrich Garlichs: „Das Olivenöl und das Rot – dann nach der Ampel – für das Olivenöl ist ein bekanntes Totschlag-Argument. Das ist sehr leicht zu entkräften. Man kann zum Beispiel die Ampel nur für verarbeitete Lebensmittel einführen. Nicht für natürliche Lebensmittel. Was sie machen würden. Außerdem könnte man ungesättigte Fettsäuren herausnehmen und nur die gesättigten Fettsäuren [mit reinnehmen]. Also bei Öl und bei Butter ist ja auch die Aufklärung nicht wichtig, da weiß jeder was es ist. Die Aufklärung und die Ampel sind wichtig bei den verarbeiteten Lebensmitteln, wo man gar nicht mehr weiß was drin ist.“
Prof. Dr. Stephan Martin: „Ich glaube wir brauchen keine Steuer, sondern wir können ja eine Verpflichtung machen, dass man bestimmte Produkte systematisch nach unten bringt. Das ist viel effizienter. Dann muss der Produzent das jedes Jahr auf 4 bis 5 Prozent reduzieren. Uund man muss natürlich auch eins sehen: Zucker ist ein preiswertes Lebensmittel und wenn ich das irgendwo reinhaue, umso preiswerter wird das Produkt. Und ich glaube, wenn man einfach klar sagt: So, du hast jetzt 10 Prozent Zucker drin, nächstes Jahr hast du 8 und dann hast du nur noch 6 Prozent Zucker drin, das ist verpflichtend – das lässt sich sehr schnell umsetzen und ich glaube, das ist etwas – wir haben auch immer wieder Produkte, die ihre Zusammensetzung ändern und das merkt dann keiner. Ich glaube das ist der Weg, den wir gehen sollten.“