Die Geschichte der Gentherapie enthält frustrierende Rückschläge und Enttäuschungen, aber auch Berichte über Erfolge bei schwer therapierbaren Erbkrankheiten. In Hannover scheinen Ärzte eine Geschichte mit gutem Ausgang zu schreiben.
Vorsichtigen Optimismus spürt man bei Ärzten und Betroffenen. Zwei Jahre nach der Transplantation sieht es so aus, als könnte man an der Medizinischen Hochschule Hannover den Opfern einer tödlichen Erbkrankheit die Hoffnung auf ein anderes Leben zurückgeben.
Wiskott-Aldrich-Syndrom: Normales Leben nach Gentransfer
Nach vielen Auf- und Ab's, nach großen Hoffnungen und frustrierenden Rückschlägen scheint das Projekt Gentherapie in Deutschland wieder einem Erfolg entgegenzusteuern. Christoph Klein und sein Mitarbeiter Kaan Boztug von der Medizinischen Hochschule Hannover präsentierten zuletzt auf der Jahrestagung der European Society for Immunodeficiencies im holländischen ’s-Hertogenbosch ihre Ergebnisse zur Gentherapie von drei Jungen mit der Immundefizienzkrankheit Wiskott-Aldrich-Syndrom. Der X-chromosomal vererbte rezessive Immundefekt kommt in etwa in einer Häufigkeit von etwa 1:200.000 in der Bevölkerung vor. Die Patienten zeigen meist schon vor dem dritten Lebensjahr Ekzeme, Zeichen von Autoimmunität und Gerinnungsstörungen. Grund dafür ist der Defekt eines Proteins, das in der Zelle das Zytoskelett organisiert.
Aufbau der verlorenen Infektabwehr
Bislang war die allogene Knochenmarktransplantation die einzige Hoffnung, die es für solche Patienten gab. Aber auch dabei gibt es häufig Komplikationen. Das Transplantat reagiert zuweilen mit einer Graft-versus-Host-Reaktion oder wird vom Empfänger abgestoßen. Nach vielen Vorversuchen in der Zellkultur und an Mäusen wagte sich das Team 2006 zum ersten Mal an zwei Jungen mit dem Immundefekt. Ein retroviraler Vektor baut das korrekte WAS-Gen in das Genom der entnommenen hämatopoetischen Stammzellen des Patienten ein. Nach entsprechender Selektion im Labor siedeln sich die reparierten Zellen wieder im Knochenmark an und bauen die verloren gegangene Infektabwehr auf. Nach zwei Jahren führen die beiden Patienten inzwischen wieder ein ganz normales Leben. Das erhoffen sich die Ärzte auch für einen dritten Jungen, dem sie vor drei Monaten gentherapierte Stammzellen zurückgaben.
Enttäuschte Erwartungen
Nicht immer verläuft der Ersatz defekter Gene so reibungslos. Das erste Opfer von Gentherapie-Experimenten war 1999 der Amerikaner Jesse Gelsinger. Er starb vier Tage nach der Injektion von DNA mit dem Gen für das Leberenzym Ornithin-Transcarbamylase zusammen mit einem Adenovirus-Vektor, die den Defekt beheben sollten. Sein Körper reagierte mit einer starken Abwehrreaktion gegen das Virus. In Frankfurt freuten sich vor zwei Jahren die Ärzte, einen Erfolg bei der Behandlung der septischen Granulomatose (CGD) melden zu können. Leider einige Wochen zu früh. Denn nur kurze Zeit später starb einer der Patienten an einer schweren Sepsis. Den beiden anderen Patienten, ein Junge in Zürich und ein junger Mann in Frankfurt, geht es bisher gut. Dennoch produzieren die Zellen das Ersatzgen nicht so beständig wie gewünscht. Einen weiteren genetisch bedingten Immundefekt versucht man in Paris und London mit Gentransfer zu heilen. Den über zwanzig erfolgreichen Therapien für X-SCID stehen allerdings auch fünf Fälle gegenüber, bei denen die Patienten eine Leukämie entwickelten. Die betroffenen Kinder sprachen aber gut auf die Chemotherapie an.
Nicht immer scheint ist es bei der Gentherapie der virale Vektor zu sein, der zu Komplikationen führt. Auch das Transgen bereitet den Ärzten zuweilen unerwartete Überraschungen. Die Zelle baut es an ganz unterschiedlichen Stellen in ihr Genom ein. Nicht selten schaltet sie dabei auch Gene an- oder ab, die zur Tumorentstehung beitragen. So konnte Christof von Kalle vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg die Entstehung der Leukämiefälle aufklären. Auch Christoph Klein, der mit von Kalle in einer von der deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten klinischen Forschergruppe zusammenarbeitet, will nicht ausschließen, dass seine Schützlinge noch eine Leukämie entwickeln. "Aber im Gegensatz zu den Studien bei X-SCID und CGD exprimiert die hämatopoetische Stammzelle das Wiskott-Aldrich-Protein sehr früh", sagt der Kinderonkologe optimistisch. "Ähnlich ist das bei der Expression des ADA-Gens, das auch früh in der Entwicklung der Blutzellen aktiv ist." Alessandro Aiuti hat in Mailand bereits seit den neunziger Jahren Kinder mit einer Adenosin-Desaminase-Defizienz behandelt. Bisher hat noch keines der 16 Kinder mit dem Ersatzgen eine Leukämie entwickelt.