Das Wort „biologisch“ bedeutet nicht automatisch harmlos, wenn es um Arzneimittel geht. Sicherheitsmängel werden durchschnittlich erst über drei Jahre nach Zulassung entdeckt, so das Ergebnis einer Studie zur Sicherheit der relativ neuen Medikamentenklasse.
Biologische Medikamente, kurz Biologicals, sind gentechnologisch mithilfe von Zellkulturen hergestellte Eiweiße. Die Biologicals wirken, indem sie gezielt und frühzeitig in körpereigene Funktionen und Mechanismen der Krankheitsentstehung eingreifen. Diese noch recht neue Klasse von Medikamenten gewinnt zunehmende Bedeutung etwa bei Autoimmunerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis und Psoriasis, aber es werden auch rekombinante Blutprodukte und Impfstoffe hergestellt. Mittlerweile 22 Prozent der neu zugelassenen Arzneien zählen zu den Biologicals.
Sicherheitsprobleme bei jedem vierten Medikament
Auch wenn alle neu zugelassenen Biologicals in entsprechenden Zulassungsverfahren geprüft wurden – und dies beinhaltet randomisierte klinische Phase-III-Studien – ist fast jedes vierte Medikament mit Sicherheitsproblemen behaftet, die weitere Maßnahmen erforderlich machen. Zu diesem Ergebnis kommen Thijs Giezen und Mitarbeiter des Utrecht Institute for Pharmaceutical Sciences, Niederlande, in einer im Journal of the American Medical Association (JAMA 2008; 300: 1887-1896) veröffentlichten Studie zu sicherheitsbezogenen regulatorischen Eingriffen bei Biologicals.
Demnach wiesen von 174 in den Jahren 1995 bis 2007 neu zugelassenen Biologicals (davon 136 in den USA, 105 in der Europäischen Union und 67 in den USA und Europa zugelassen) 41 Medikamente Sicherheitsmängel auf, deren Konsequenz insgesamt 82 Sicherheitsmaßnahmen waren (annähernd 24 Prozent). Dies war in 46 Fällen ein so genannter „dear healthcare professional letter“, eine von der FDA veranlasste schriftliche Informationen an Ärzte, 17 mal in der Europäischen Union an Ärzte verschickte Informationen, die „direct healthcare professional communication“, sowie 19 umrahmte Warnhinweise auf Beipackzetteln, die „black box warnings“, die vor schwerwiegenden lebensgefährlichen Nebenwirkungen warnen. Die Wahrscheinlichkeit einer ersten Maßnahme aus Sicherheitsgründen war für neu zugelassene Biologicals hoch und betrug drei Jahre nach der Zulassung 14 Prozent, nach zehn Jahren 29 Prozent. Die meisten Sicherheitsmängel (70,7 Prozent) wurden nach über dreieinhalb Jahren nach Zulassung des Medikaments entdeckt.
„Black box warning“ – bei Biologicals besonders häufig
Die „black box warning“ ist die stärkste Form des möglichen Warnhinweises in den USA, die die FDA verhängt. Sicherheitshinweise aufgrund der Sicherheitsprobleme bei den untersuchten Biologicals bezogen sich hauptsächlich auf Allgemeinerkrankungen und Lokalreaktionen am Applikationsort, auf Infektionen, benigne und maligne Neoplasien sowie Erkrankungen des Immunsystems. Keines der Medikamente musste vom Markt genommen werden. Den Vergleich ermöglicht eine Veröffentlichung im JAMA aus dem Jahr 2002. Von 548 nicht-biologischen Arzneimitteln, die in einem Zeitraum von 25 Jahren zugelassen worden waren (1975 bis 2000) wiesen nur zehn Prozent eine neue „black box warning“ auf oder wurden vom Markt genommen. Die Hälfte der Warnungen oder Marktentnahmen ereignete sich innerhalb von zwei Jahren, nachdem das Medikament auf den Markt eingeführt worden war.
Wer den Schaden hat…
Was passieren kann, wenn Risiken und Sicherheitsmängel erst nach der Zulassung eines Medikaments bekannt werden, verdeutlicht ein vom Deutschen Ärzteblatt dargelegter Zusammenhang. Dabei geht es um die Klage einer US-Bürgerin gegen das Unternehmen Wyeth. Eine Veröffentlichung des Falles ist online in der Presse des US-Supreme Court nachzulesen. Die Gitarristin hatte wegen Übelkeit bei Migräne das Medikament Promethazin im off-label-Gebrauch erhalten. Die Verabreichung erfolgte intravenös als sogenannter i.v.-Push über einen intravenösen Zugang. Das Medikament lief an der Vene vorbei und hatte Kontakt zu einem arteriellen Gefäß. Bei arteriellem Kontakt kann das Medikament eine Gangrän verursachen, wie in diesem Fall passiert. Der Arm der Patientin musste in der Folge amputiert werden. Da das Pharmaunternehmen vor der gefährlichen intravenösen Applikation des Medikaments nicht ausdrücklich gewarnt hatte, gestand ihr ein Gericht in Vermont nach der Amputation ihres Armes 6,7 Millionen US-Dollar zu. Der Konzern allerdings widerspricht den Schadensersatzansprüchen der Patientin, weil die mit der i.v.-Applikation verbundenen Risiken erst nach Zulassung des Medikaments durch die FDA auftraten. Eine gerichtliche Entscheidung steht aus.
Sicherheitsprobleme auch in Zukunft
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass klinische Studien nicht alle Risiken und das komplette Sicherheitsprofil eines Medikaments identifizieren. Defizite des Systems bei der Arzneimittelzulassung sind laut Editorialistin Carherine DeAngelis, Chefredakteurin des JAMA, für die vielen Sicherheitsprobleme verantwortlich. Sie nennt etwa den nicht perfekten Prozess der Zulassung und fehlerhafte Systeme der Selbstkontrolle. Ihrer Meinung nach lassen sich auch in Zukunft Schäden von Patienten durch neue Arzneimittel nicht vermeiden.