Wer an einer Studie teilnimmt, erfährt mitunter Ergebnisse, die weder erwartet noch willkommen sind. Der Untersuchende steht vor einer schwierigen Entscheidung und es stellt sich ihm die Frage: Wie sag ich's meinem Probanden?
"Es war Mitte der 90er Jahre, als der Student einer angesehenen Universität an einer Magnet-Resonanz-Tomografie-Studie teilnahm. Weil damals nur wenige Scanner von vier Tesla existierten, war die Studie experimentell. Die Betreiber ließen die Scans nicht von einem klinischen Experten kontrollieren. Wenige Jahre nach der erfolglosen Studie - sie wurde niemals veröffentlicht - erlitt der Student einen epileptischen Anfall. In der neurologischen und neurochirurgischen Untersuchung fand man einen Hirntumor. Auf dem MRT-Bild der früheren Studie erkannte der Neurochirurg den Tumor und vermutete, er sei wohl seit seiner Geburt dort." Das Beispiel stammt von Charles Nelson von der Harvard University. Es zeigt die Probleme, die bei Studien mit anscheinend gesunden Probanden auftreten können.
Jedes vierte Gehirn ist nicht „normal“
Nicht immer kann sich der Teilnehmer einer Studie darauf verlassen, dass die Aufnahme oder der Test verborgene Krankheiten ans Licht bringt. "Warum habe ich davon nichts erfahren, ein Arzt muss so etwas doch sehen!", sagt der Proband, der sich als Patient fühlt. Genau das aber ist er nicht, sagen Medizin-Ethiker. Mit Fortschreiten der Technik werden Computertomografie oder MRT immer beliebter. Auf dem Monitor lässt sich mit verschiedenen Farben darstellen, was ein neugieriger Blick oder das Bild von Prominenten im Gehirn bewirken. Dabei sind die Schlüsse der Forscher nicht selten näher an der Spekulation als an der Wahrheit. Denn sowohl die räumliche als auch die zeitliche Auflösung einer Kernspin-Aufnahme ist sehr grob. Pro Messpunkt erfassen die Detektoren mehrere Millionen Nervenzellen, das Signal entwickelt sich innerhalb mehrerer Sekunden, während Neuronen ihre Potentiale in hundertstel-Sekundentakt feuern. Vielfach fehlt es auch an der Expertise: So wurden entsprechend einer Untersuchung von Anton Valavanis von der Neuroradiologie Zürich rund 30 Prozent aller fMRT-Aufnahmen anatomisch falsch zugeordnet.
Manchmal tauchen aber in der Aufnahme auch Strukturen auf, nach denen der Forscher nicht gesucht hat. Meike Vernooij und ihre Kollegen von der Universität Rotterdam haben vor einem Jahr im New England Journal of Medicine grundlegende Daten zu unerwarteten Hirnbefunden geliefert. So fanden sie bei rund 2.000 MRT-Scans in rund sieben Prozent asymptomatische Hirninfarkte. Daneben Aneurysmen (1,8%) und gutartige Primärtumoren (1,6%). In Deutschland stammen verlässliche Zahlen von 2536 jungen Männern aus dem Institut für Luftfahrtmedizin in Fürstenfeldbruck. Bei der Tauglichkeitsprüfung für den militärischen Flugdienst waren nur 75 Prozent aller Befunde "normal", 18 Prozent wiesen Abweichungen vom Standard auf. 14 Fälle waren dringend abklärungsbedürftig.
Aufgedeckte Seitensprünge
Hier wurde jedoch auch ohne vorherigen Verdacht gezielt nach Abweichungen gefahndet. Wie aber gehen Forscher ohne klinische Erfahrung bei "komischen" Befunden in MRT-Bildern vor? Eine Untersuchung von Judy Illes aus Vancouver gibt einige Antworten: Sieben von zehn Teilnehmer einer Fragebogen-Aktion in 27 Ländern schalten bei verdächtigen Befunden einen Spezialisten ein, 13 Prozent lassen alle Bilder begutachten, der Rest arbeitet nicht mit der Neurologie zusammen. Im amerikanischen National Institute of Health schaut inzwischen ein Neuroradiologe auf jedes MRT-Bild.
Zufallsbefunde entstehen aber nicht nur in der Neurologie. Bei genetischen Familienuntersuchungen stellt sich hin und wieder heraus, dass das vermeintliche Familienmitglied aus einem Seitensprung oder einer früheren Beziehung stammt. Oder aber ein Risikogen für eine schwere Krankheit trägt. Bei CT-Aufnahmen des Kolons taucht mitunter ein unerwarteter Fleck an der Lungenbasis auf. Auch bei archivierten Proben kommen manchmal schwerwiegende Veränderungen zum Vorschein, die der Kollege vor etlichen Jahren nicht entdecken konnte.
Erste Leitlinien für Zufallsbefunde
Aber will der Studienteilnehmer all das überhaupt wissen? Steht er kurz davor, seine Familie mit einer Lebensversicherung abzusichern? Wie der Studienleiter mit Zufallsbefunden umgehen sollte, darüber haben sich Thomas Heinemann und Christian Hoppe von der Uni Bonn Gedanken gemacht. In ihrem Beitrag für das Deutsche Ärzteblatt legen sie Wert auf die Unterscheidung zwischen Arzt und Forscher. Der Studienleiter sollte seinen Probanden vor Beginn der Studie auf mögliche Zufallsbefunde hinweisen. Der Teilnehmer trifft umgekehrt eine Entscheidung, ob er davon erfahren will. Ein Recht zur fachlichen Expertise leitet sich aus der Teilnahme an der Studie nicht ab. Nicht immer erlaubt das Budget eine Expertenkontrolle der Bilder oder Tests.
Weder in Deutschland noch in den USA gab es bisher Regelungen für den Umgang mit Befunden, nach denen nicht gesucht wurde. Im Mai 2007 fand in Minnesota ein Expertentreffen statt, aus dem Leitlinien für die Entscheidung des Forschers hervorgingen:
Die klinische Studie ist keine Diagnostik. Das müssen beide Seiten wissen. Und wer das Glück hat, ohne Befund zu sein, der kann sich noch lange nicht als Besitzer eines Persilscheins für seine Gesundheit wähnen.