Die Idee ist ebenso schlicht, wie gut: Mit Hilfe biopolymerer Nanoimplantate will ein universitärer Forschungsverbund in der Schweiz der Hyperthermie als Krebstherapie endlich zum Siegeszug verhelfen.
Die Nadelpunktion ist präzise und trifft den Tumor mit voller Wucht. Innerhalb von Sekunden durchdringen die im flüssigen Polymergemisch eingebundenen, superparamagnetischen Eisenoxidzwerge jede Zelle des Krebsgeschwürs, und verwandeln sich dann, wie von Zauberhand gesteuert, in ein träges Gel. Das auf diese Weise entstandene Bioimplantat verfügt über eine für Krebsmediziner mehr als nützliche Eigenschaft: Es schließt die lediglich zehn Nanometer kleinen Eisenoxidpartikel derart fest ein, dass die Winzlinge im Vergleich zu anderen Verabreichungsformen nicht ins Blut oder Lymphsystem des Patienten abwandern können.
Mit Zauberei hat das Verfahren freilich nichts zu tun, im Gegenteil. Es ist das Resultat einer Zusammenarbeit der Universität Genf, der ETH Lausanne und des Universitätsspitals Genf. Der Westschweizer Forschungsverbund hat sich nämlich aufgemacht, die Hyperthermie voranzubringen – dank des erstarrenden Nanogels sogar mit beachtlichem Erfolg.
Tatsächlich gelang dem Team unter der Leitung von Eric Doelker vom Laboratorium für Galenik und Biopharmazie der Ecole de pharmacie Genève-Lausanne (EPGL) das, was bisher viele zwar für theoretisch möglich, doch auf Grund der oftmals unerwünschten Nanopartikel-Mobilität für ebenso unmöglich hielten: Die Anwendung der Hyperthermie ohne Zerstörung des gesunden, Tumor-umgebenden Gewebes. Doelker konnte im Tierversuch die gelierten Nanopartikel zwanzig Minuten lang erhitzen, und auf diese Weise Dickdarmkrebs-Tumoren der Versuchsmäuse zerstören. Dazu setzte er die Nanoimplantate einem Magnetfeld von bis zu zwölf Millitesla aus. Die Folge: Nicht nur erwärmten sich die Tumorzellen auf letale 46 Grad, auch die Überlebenszeit der Rodenten verdreifachte sich. Zudem wiesen 45 Prozent der Mäuse selbst ein Jahr nach der Nanogel-Anwendung kein Rezidiv auf.
Die Finesse der Methode offenbart sich erst bei Betrachtung der technischen Umsetzung. Denn die lokal kontrollierbare Hyperthermie scheint nur dann zu funktionieren, wenn die Eisenoxidpartikel starr und unbeweglich im Gel verharren, während sich das rettende Biopolymer-Eisenoxid-Konglomerat erhitzt, nur: Wie soll man das erreichen? Die Lösung bietet ein rasch oszillierendes Magnetfeld, das die Partikel in Schwingung versetzt. „Dadurch wird das Implantat im Tumor fein dosiert erwärmt“, beschreibt der Schweizerische Nationalfonds (SNF) die Folge dieses Technik-Tricks. Jetzt soll ein Start-up die Technologie nicht nur in Fachzeitschriften und Medien, sondern zur Marktreife bringen.
Run auf Nanotherapie und Investoren
Mehr als einmal haben Forscher versucht, die Hyperthermie mit Hilfe von Nanoteilchen zu etablieren. Nach zwölf Jahren Forschungsarbeit beispielsweise wurden bereits 2003 an der "Klinik für Strahlenheilkunde" der Charité die ersten Krebs-Patienten mit einer tumorspezifischen, nanotechnologisch basierten Wärmetherapie behandelt. Das damalige Verfahren, die sogenannte Magnet-Flüssigkeits-Hyperthermie, war das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen mehreren Arbeitsgruppen Auch bei der deutschen Vorgängerversion der jetzigen Schweizer Variante waren eisenoxydhaltige Teilchen das Herzstück des Verfahrens. Und auch sie wurden damals im Nanometermaßstab zunächst in einer Flüssigkeit gelöst, um anschließend ins kranke Gewebe zu gelangen. Wie bei der heutigen Westschweizer Gruppe erwärmten die durch das von außen angelegte Magnetfeld erzeugten Schwingungen den Tumor - aber eben auch das umgebende Gewebe auf 45 Grad Celsius oder mehr. „Niedrigere Temperaturen sensibilisieren das Tumorgewebe für eine anschließende Strahlen- oder Chemotherapie; höhere Temperaturen lassen das entartete Gewebe absterben“, stellten die Forscher damals fest.
Die heimische Gelvariante aus der Schweiz hingegen scheint zumindest im präklinischen Versuch dort zu wirken, wo Mediziner die Therapie haben wollen: Im Tumor. Doch Eile ist angebracht. Auf einer der weltweit wichtigsten Veranstaltungen rund um Neuentwicklungen der Nanobiotechnologie, der UBS Global Life Sciences Conference in News York, präsentierten sich nicht etwa die SNF-Schützlinge aus Genf und Lausanne als Vorreiter. Vor über 350 Investoren, die von der veranstaltenden Schweizer Bank UBS geladen worden waren, machten in Big Apple Wissenschaftler des Nano-Hyperthermie-Pioniers Magforce das Rennen – die Konkurrenz der Schweizer kommt aus Berlin.