Bisher sind ärztliche Zwangsmaßnahmen an eine freiheitsentziehende Unterbringung gebunden. Benötigen Patienten eine Zwangsbehandlung in einer stationären Klinik, ist dies nicht möglich. Hier gibt es eine Schutzlücke im Gesetz. Die Bundesregierung will dies ändern.
Die Bundesregierung plant noch in dieser Legislaturperiode eine Gesetzesänderung zur Zwangsbehandlung von Patienten. Das „Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten“ schließt eine Lücke, die mit der im Grundgesetz verankerten Schutzpflicht des Staates nicht vereinbar ist. Bisher sind ärztliche Zwangsmaßnahmen nur im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung möglich. Die Schutzlücke entsteht, wenn einwilligungsfähige Patienten, die stationär in einer nicht geschlossenen Einrichtung behandelt werden können, faktisch aber nicht in der Lage sind, sich räumlich zu entfernen oder dies nicht wollen, nicht gegen ihren natürlichen Willen ärztlich behandelt werden dürfen. So können geistig oder seelisch kranke Patienten, die die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, ihr widersprechen - und einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden erleiden oder sogar Versterben.
Die Gesetzesänderung sieht vor, die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung zu entkoppeln. Es soll möglich sein, nun im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus zu behandeln. Ambulant durchgeführte ärztliche Zwangsbehandlungen sollen jedoch weiterhin ausgeschlossen bleiben. Zudem ist eine Evaluierung der Auswirkungen des Gesetzes vorgesehen. Die Aktion Psychisch Kranke (APK) begrüßt die Absicht, die Regelungslücke zu schließen, das Recht auf Selbstbestimmung zu stärken und die Folgen des Gesetzes einer Evaluation zu unterziehen. Dennoch sieht die Vereinigung Nachbesserungsbedarf: So sollen Zwangsmaßnahmen nur dann möglich sein, wenn es dem Patienten tatsächlich vollkommen unmöglich ist, seinen Zustand selbst zu beurteilen. Zudem gebe es bisher keine ausreichenden Kenntnisse über die Anwendungspraxis im Alltag, so dass eine rein statistische Auswertung nicht ausreiche.
„Durch die geplante Evaluation wird man nicht erkennen können, ob es tatsächlich einen Nutzen für die Patienten gibt“, kritisiert Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke. „Da der Nutzen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen insbesondere in der Psychiatrie ohnehin umstritten ist, brauchen wir eine substantielle Forschung.“ Es gebe Berichte aus Kliniken, in denen insgesamt das Klima ohne Zwangsbehandlungen besser geworden sei. „Unsere Kritik ist zudem, dass der Gesetzentwurf gar nicht darauf abzielt, die Zahl der Zwangsbehandlungen zu verringern. Wir glauben, dass es lediglich darum geht, wieder Rechtssicherheit für die Einrichtungen herzustellen. Die behauptete Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten bleibt weit hinter dem zurück, was wir uns vorstellen könnten“, sagt Vogler. Auch im Ethikrat wird das Gesetz teils kritisch gesehen. „Welche sind die Bedingungen dafür, dass jemand in der Psychiatrie zwangsbehandelt wird? Ich finde, dies ist sehr kritisch zu beurteilen“, sagt Christiane Fischer, Mitglied des Ethikrats und Geschäftsführerin der Initiative Mezis. „Heute kann jeder, der eingewiesen ist, zwangsbehandelt werden, aber nicht, wenn er ambulant in einer Tagesklinik ist. Das Gesetz würde diese Regelung aufweichen und mehr Zwangsbehandlungen ermöglichen. Ich finde das hoch problematisch.“ In jedem Fall ist für die Bundesregierung Eile geboten: Bisher gibt es nur einen Entwurf, aber noch keine Fassung, über die abgestimmt werden könnte. Bis zum Ende der Wahlperiode sind nur noch wenige Sitzungswochen anberaumt, in denen die Parteien sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen könnten.