Beerensammler haben wohl kein so hohes Risiko wie angenommen. Dagegen sollen Waldarbeiter und Hundebesitzer aufpassen. Wer den Fuchsbandwurm aufschnappt, hat zwar bessere Chancen als vor 40 Jahren, muss aber unters Messer und lebenslang Pillen schlucken.
Die Infektion ähnelt einem Tumor, der im Verborgenen schlummert. Erst nach mehr als zehn Jahren macht sich der Feind, der sich in der Leber eingenistet hat, bemerkbar. Wenn aber erst massive Beschwerden seine Anwesenheit aufdecken, ist es meist zu spät, um ihn wieder ganz loszuwerden. Noch vor einigen Jahren bedeutete eine spät erkannte Infektion mit dem Fuchsbandwurm Echinococcus multilocularis den sicheren Tod. Inzwischen ist die Sterberate von 90 auf unter 20 Prozent gesunken.
Die Stadt ist Fuchs-Lebensraum
Das Risiko für die vom Bandwurm verursachte alveoläre Echinokokkose hat bis 2007 dagegen zugenommen. In der gut dokumentierten Schweiz waren es zwar in den letzten Jahren nur etwa 3 Fälle auf eine Million Einwohner pro Jahr. Das aber ist rund das dreifache der Anzahl im Vergleich zu den vier Jahrzehnten davor. In Deutschland gibt es pro Jahr rund 20-25 Ausbrüche. Ein höheres Risiko haben Bayern, Baden-Württemberger und Bewohner von Nordrhein-Westfalen. Die Gründe für den Anstieg: Sowohl die Anzahl der Füchse als auch die Rate der Überträger hat sich dramatisch erhöht. Inzwischen haben die Waldbewohner auch die Großstadt erobert. Allein in Zürich ist die Rate toter oder abgeschossener Füchse seit 1985 um das 20-fache gestiegen. Zwischen 25 und 65 Prozent der Füchse sind inzwischen mit dem Parasiten infiziert, das ist etwa zehn mal so viel wie noch vor 15 Jahren.
Vor einigen Jahren wurden wir alle gewarnt, auf keinen Fall wilde Walderdbeeren, Blaubeeren oder andere Waldbeeren roh zu essen. Neue Erkenntnisse des Ulmer Infektiologen Peter Kern relativieren die süßen Früchte als Hauptrisiko. Eine Umfrage unter Erkrankten zeigte höhere Risikofaktoren für Waldarbeiter, Jäger und Bauern, aber auch Besitzer von Hunden und Katzen. Sie sollten ihre Haustiere regelmäßig entwurmen.
Chirurgie und Medikamente senken Todesrate
Oft sind es nur Zufallsbefunde bei Aufnahmen der Leber, die charakteristische kleine Zysten aufdecken. Die Keimschicht bei der Entwicklung der Finnen liegt dabei an der Innen- und an der Außenwand der Zyste. Wie ein Tumor kann sie daher in das befallene Organ hineinwachsen und schließlich auch Gewebe in der Nachbarschaft befallen. Die Larven machen nicht einmal vor Knochen halt. Um den Herd rechtzeitig zu entdecken, gibt es in einigen Bundesländern inzwischen auch schon den serologischen Routine-Check bei Waldarbeitern. Eine Sonografie hilft bei der weiteren Abklärung. Denn vielfach liefere die Serologie zwar einen positiven Befund, so erklärt der Echinococcus-Spezialist Klaus Brehm von der Universität Würzburg im Gespräch mit DocCheck, aber nur bei etwa 20% der Seropositiven entwickeln sich tatsächlich die Parasiten im Körper. Das deutet auf eine entsprechende Immunität gegen den Eindringling hin. Auch Spontanregressionen der Zysten sprechen für eine wirkungsvolle Abwehr. Tierexperimente bei Maus und Primat zeigen genetisch bedingte Resistenz. Eine Untersuchung von Peter Kern bei 2500 Einwohner eines Dorfes in der schwäbischen Alb weist auf den Schutz auf DNA-Ebene hin. Denn etwa 60 Untersuchte entwickelten Antikörper gegen den Bandwurm, aber nur bei dreien zeigte der Ultraschall Leberzysten. Welche Gene aber die erfolgreiche Bandwurm-Abwehr steuern, ist bisher unbekannt.
Die große Regenerationsfähigkeit der Leber hilft mit, dass sich die Würmer im Frühstadium noch komplett aus dem Organ herausschneiden lassen. Selbst in späteren Phasen gelingt es noch oft, den Parasiten auszumerzen. In den meisten Fällen ist jedoch eine lebenslange medikamentöse Behandlung notwendig. Die verbesserte Kunst der Chirurgen und die adjuvante Therapie mit Benzimidazolderivaten hebt aber immerhin das Todesurteil auf, das noch vor knapp 40 Jahren bei einer Fuchsbandwurm-Infektion gesprochen wurde. Nach den Berechnungen von Beat Müllhaupt vom Universitätsspital Zürich kostete die Infektion im Jahr 1970 einem Patienten im Alter von 54 noch rund 20 Lebensjahre. Heute sind es dagegen nur mehr drei. Auch die Kosteneffektivität bei der Therapie hat der Schweizer Hepatologe nachgerechnet. Denn aufgeteilt auf die gewonnene Lebenszeit, ergeben 110 000 Euro für die Behandlung etwa 6000 Euro pro gewonnenes Lebensjahr. Im Vergleich zu anderen chronischen Krankheiten ist das eher wenig.
Ähnlichkeit mit vCJD
Seit 2001 gibt ein Deutschland eine Meldepflicht für Fuchsbandwurm-Infektionen. Nach stetigem Anstieg ging die Zahl der Neuansteckungen 2007 erstmals wieder zurück. Möglicherweise auch ein Erfolg einer strikten Fuchskontrolle. Besonders erfolgreich sind dabei die Förster in Starnberg und Umgebung. Hier wurden seit 2005 in vierwöchigem Abstand Köder mit Praziquantelengmaschig ausgelegt. Verbreitete vorher rund jeder dritte Fuchs den Bandwurm, wurde im Jahr nach der ersten Köder-Aktion nur ein infizierter Fuchs (von 100 untersuchten) gefunden.
Dennoch warnen Experten vor dem Glauben, die Krankheit nun vollkommen unter Kontrolle zu haben. So schreibt Peter Deplazes von der Universität Zürich 2007 in der Fachzeitschrift Emerging Infectious Diseases: "Die alveoläre Echinokokkose ähnelt der humanen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit" Er meint: In Großbritannien kam es zu einem starken Anstieg von vCJD, als durch die lange Latenzzeit der Prionen im menschlichen Körper die Zahl der BSE-Rinder bereits wieder abnahm. Das lange Versteckspiel des Fuchsbandwurms führt möglicherweise dazu, dass Füchse den Bandwurm loswerden, aber noch lange nicht die Menschen in deren Umgebung.