Ein kleiner Schnitt für ihn, ein großer Schritt für die Menschheit? In Afrika rettet das Skalpell am Präputium Millionen von Leben. Was dort gegen die Neuinfektion mit HIV hilft, ist in Deutschland heftig umstritten: ästhetischer Infektionsschutz oder Genitalverstümmelung?
Es ist einer der Eingriffe, die Chirurgen wohl weltweit am häufigsten praktizieren. Zudem ist es eine der ältesten Operationen, sie war schon im alten Ägypten gebräuchlich. Und es ist zur Zeit wohl die wirksamste Methode, die AIDS-Epidemie in Afrika einzudämmen. Selbst in hoch entwickelten Ländern verleiht die Zirkumzision Schutz gegen Geschlechtskrankheiten, Harnwegsinfektionen oder Peniskarzinom.
Mit oder ohne ihr Einverständnis haben rund um den Globus rund 670 Millionen Männer über 15 Jahren durch Zirkumzision ihre Vorhaut verloren, das ist fast jeder Dritte. Während die Rate in den USA oder Großbritannien zurückgeht, soll sie in Afrika nach Willen der WHO bald stark steigen. Denn der unverhüllte Penis verleiht Schutz gegen HIV. Drei große Studien in Südafrika im Jahr 2002 und in den folgenden Jahren in Uganda und Kenia wurden vorzeitig abgebrochen. Um rund 60 Prozent sank nach einer Interims-Analyse das Risiko, sich den tödlichen Virus einzufangen, Grund genug, die Unbeschnittenen nicht länger einer höheren Gefahr auszusetzen. Bertran Auvert, Autor der ersten Studie, schätzt, dass sich durch eine Beschneidung vor dem ersten Geschlechtsverkehr bis 2026 rund 6 Millionen AIDS-Tote in Afrika verhindern ließen.
Der Virus kommt durch ein Schlupfloch
Die Innenseite der Vorhaut ist allem Anschein nach das Schlupfloch, das der HI-Virus als Pforte ins Körperinnere nutzt. Sie enthält weniger Keratin als der Penisschaft oder die äußere Vorhaut. Die dort versammelten Langerhans'schen Immunzellen sind ein gefundenes Fressen für den Erreger. Daher dringt das WHO-Aktionsprogramm UNAIDS darauf, möglichst viele männliche Gefährdete zu beschneiden. Medizinisches Personal wird in Kenia für den Schnitt geschult, in Sambia wurden in den letzten Monaten rund 500 Männer operiert. Wo aber zum Beispiel die Beschneidung zum Initiationsritus bei Eingeborenenstämmen gehört, ist es schwierig, die Prozedur aus hygienischen Gründen in die Arztpraxis oder in die Klinik zu verlegen. Bei anderen Völkern fürchten die Männer durch die Vorhaut-Amputation eine Einschränkung ihrer Potenz. Außerdem müssen die Bereitwilligen wissen, dass die Beschneidung keine Versicherung gegen die Seuche ist und HIV weiter übertragen werden kann.
Wenn diese Prozedur nun so wirksam gegen Infektionen - nicht nur gegen HIV - ist, warum ging in Amerika die Quote in den letzten dreißig Jahren von 91 auf 79 Prozent zurück. Und warum sind in Deutschland nur rund 15 Prozent aller Jungen beschnitten? Die Anwendung des Skalpells am männlichen Geschlechtsorgan ist heftig umstritten. Der Psychologe Richard Goldman stellt gar einen Zusammenhang zwischen der hohen amerikanischen Kriminalitätsrate und dem frühkindlichen Schock beim Abschneiden eines Körperteils. Die deutsche Organisation Eurocirc argumentiert mit umfassendem Schutz bei verbesserter Ästhetik. Eine Gegenüberstellung von Argumenten beider Seiten publizierte vor kurzem das Canadian Urological Association Journal.
Ein Risiko gebannt, ein neues entsteht
Das Risiko von Peniskarzinomen liegt nach neuen Untersuchungen bei Unbeschnittenen zwanzig mal höher als bei Männern mit freigelegter Eichel. Auch die Entstehung von Genitalwarzen und damit das Risiko von Zervixkarzinomen bei der Frau ist bei intakter Vorhaut höher. So hat Israel die weltweit niedrigste Neuerkrankungsquote. Die Gegner argumentieren jedoch, das Risiko eines Peniskarzinoms würde von der Komplikationsrate bei Beschneidungen aufgehoben. Einen wirksamen Schutz gegen Infektionen biete wohl auch eine entsprechende Hygiene bei der Intimpflege. Dort wäre das Geld für unnötige Beschneidungen besser angelegt. Unbestritten ist, dass der Schnitt bei Phimosen nach dem ersten Lebensjahr zuweilen unumgänglich ist, auch wenn sich leichtere Formen der Vorhautverengung gut mit Steroiden behandeln lassen.
Eurocirc berichtet von zunehmend mehr Frauen, die sich an die Organisation wenden, um ihren Partner zur Operation zu überreden. Dennoch halten sich Berichte und Untersuchungen von verkümmertem Sexleben und neuen Höhepunkten die Waage. Eine zweijährige prospektive Studie, die vor kurzem das British Journal of Urology veröffentlichte, fand keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen.
Wenn die Kasse nicht zahlt
Einen eindeutigen ökonomisch-medizinischen Vorteil sehen Experten nur in Regionen, in denen sich HIV per heterosexuellem Kontakt ausbreitet. Die Kassen bezahlen also den Eingriff nur bei einer klaren Phimose-Indikation. In der Praxis findet sich jedoch trotz umstrittener Rechtslage meist ein Weg, um Wünschen von Eltern und Erwachsenen Männern entgegenzukommen. Viele Urologen sind vielmehr froh darüber, dass zum Beispiel Muslime ihre Söhne zum Arzt oder in die Klinik bringen, anstatt selber Hand ans Messer zu legen.
Mögen sich die Experten über die Beschneidung bei Jungen und Männern aus medizinischen und religiösen Gründen noch streiten, so sind sich alle Gruppen jedoch über eines einig: Bei Mädchen ist dieser Eingriff nichts anderes als eine unnötige und schmerzhafte Verstümmelung der Geschlechtsorgane. Und nach unbestätigten Angaben erleiden auch in Deutschland noch etwa 7.000 wehrlose Opfer dieses Schicksal.