Empfehlungen der STIKO werden von vielen ignoriert. Jetzt versuchen Bioingenieure, Vakzine für den Hausgebrauch zu entwickeln, damit auf den Gang zum Arzt verzichtet werden kann. Gelingt es, die Haut-Schleimhaut-Barriere ohne Nadel zu überwinden?
Die aktuelle Influenzasaison 2016/2017 geht ihrem Ende entgegen. Wissenschaftler am Robert Koch-Institut zählten bis Mitte März 465 Grippe-Tote. Größerer Anstrengungen seien erforderlich, um den Nutzen der Impfung stärker an die Zielgruppen zu kommunizieren, heißt es als Kommentar. Dass dieser Ansatz nicht funktioniert, zeigt sich schon seit Jahren. Eine Alternative ist, technologische Systeme für Laien zu entwickeln, die sich ohne Heilberufler anwenden lassen.
Dabei spielen Nasensprays eine große Rolle. In den USA setzen Patienten seit Jahren auf Flumist. Doch ihr Nutzen ist umstritten. Vor Beginn der letzten Grippesaison sprachen Experten der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) eine vergleichsweise deutliche Warnung aus. Attenuierte intranasale Lebend-Influenza-Vakzine hätten bei Patienten zwischen zwei und 17 Jahren keinen nachweislichen Effekt erzielt, schreibt die Behörde. Basis waren Daten des US Influenza Vaccine Effectiveness Network. Bei lediglich drei Prozent alle Studienteilnehmer griff der Schutz. Zum Vergleich: Spritzen Ärzte handelsübliche Impfstoffe, waren es 63 Prozent. „Wenn man drei Jahre in Folge keine Wirkung einer Impfung sieht, soll man dann wirklich noch auf weitere Daten warten und eine Vakzine verabreichen, die vermutlich nicht besser als Salzwasser wirkt?“, erklärte Ruth Karron, Vorsitzende des CDC-Arbeitskreises für Grippeimpfungen. Gesundheitsbehörden anderer Länder teilen diese Einschätzung zwar nicht, sehen aber ähnliche Probleme: Wie gelingt es, Impfstoffe ohne Nadel besser durch die Haut-Schleimhaut-Barriere zu transportieren?
Dorian Liepmann von der University of California (UC), Berkeley, stellt jetzt ein nadelfreies System vor, das Patienten selbst bedienen könnten. Beim MucoJet handelt es sich um eine zylindrische, 15 Millimeter lange Plastikkapsel mit einem Durchmesser von acht Millimetern. Sie wird aus preisgünstigen, biokompatiblen Komponenten per 3D-Druck hergestellt und besteht aus mehreren Kammern. Im Außenfach ist steriles Wasser zu finden. Der innere Teil besteht aus zwei Bereichen. Eine Kammer ist mit der Impfstofflösung gefüllt, die andere enthält Natriumhydrogencarbonat und Zitronensäure in fester Form. © UC Berkeley / Stephen McNally Um sich selbst zu impfen, reicht es aus, den MucoJet leicht an die Schleimhaut anzulegen und mit zwei Fingern außen zuzudrücken. Dabei wird eine Membran im Inneren zerstört. Aus Wasser, Hydrogencarbonat und Säure entsteht Kohlendioxid als Treibmittel. Ist der Druck groß genug, wird Impfstofflösung durch eine Düse ausgestoßen und gelangt durch die Schleimhaut in tiefere Schichten. „Der Druck des Jets ist ähnlich wie beim Wasserstrahl, den Zahnärzte zur Reinigung verwenden", so Kiana Aran, Coautorin der Studie. Im nächsten Schritt entwickelte Liepmann ein System, um die Effektivität seines MucoJets zu testen. Er arbeitete mit bukkalem Gewebe aus Schweinen und applizierte Ovalbumim. Als Vergleich dienten Tropfer oder orale Sprays, die für eine Influenza-Impfung in den USA teilweise zum Einsatz kommen. Durch den neuen Applikationsweg erhöhte sich die Proteinkonzentration am Zielort auf das Achtfache. „Ist der Druck hoch und der Durchmesser des Strahls ist sehr klein, geht die Substanz leicht durch die Schleimhaut-Schicht.“ sagt Aran. Nach ersten Pilotstudien an Tieren sind weitere Untersuchungen erforderlich.
Eine andere Strategie verfolgen Forscher bei der „Plattform für effizienten epithelialen Transport für pharmazeutische Applikationen durch innovative partikuläre Trägersysteme“ (PeTrA). Ihnen gelang es, impfstoffbeladene Nanopartikel zu entwickeln, die mittels einer fein vernebelten Flüssigkeit in der Lunge landen. Als wesentlichen Vorteil des neuen Verfahrens sehen sie, dass der Impfstoff auf demselben Weg in den Körper gelangt wie viele Krankheitserreger. Damit kann unser Organismus leichter eine wirksame Immunantwort aufbauen. Forscher waren sowohl im Mausmodell als auch im Testsystem mit menschlichen Zellen erfolgreich. Ihre Nano-Vakzine rief die erwünschte Immunreaktion hervor. Das geht nicht nur mit unseren Atemwegen. Vor zwei Jahren gelang der Nachweis, dass sich immunologisch aktive Moleküle über Haarfollikel in den Körper transportieren lassen.
Impfapotheken in der Schweiz © pharmaSuisse Bleibt als große Gemeinsamkeit: Alle Projekte befinden sich derzeit noch in frühen experimentellen Stadien. Bis zur Praxis können vier oder fünf Jahre vergehen. Deshalb sind schnelle Lösungen gefragt – ein Fall für die Politik. Wie es funktionieren könnte, zeigt die Schweiz. Eidgenossen haben ihr Netz an Impfapotheken kontinuierlich ausgebaut. Niedrigschwellige Angebote schließen die Lücke, bevor Patienten Zugriff auf innovative Lösungen haben.