Das Geburtsjahr der ersten Krankenhausserie im deutschen Fernsehen war 1985. Hier flimmerte die erste Folge der "Schwarzwaldklinik" über die Bildschirme. Und die Macher merkten schnell, was sie mit dem neuen Medium geschaffen hatten: Nirgendwo anders lassen sich auf so elegante Art und Weise Tabus und Voyeurismus miteinander kombinieren.
Im Krankenhaus landen problembehaftete und kranke Menschen. Doch ist der Alltag in den zahllosen Arzt- und Krankenhausserienwirklich realistisch dargestellt? Oder ist dies gar eine rhetorischeFrage? Wir beantworten sie für Euch!
Vom Boom der "Schwarzwaldklinik" beflügelt, die sich schnell zum sprichwörtlichen Straßenfeger etablierte, bildeten sich im Kielwasser dieses Fernseherfolges eine ganze Reihe von "Trittbrettfahrern": Der Querschnitt an mehr oder weniger realistischen Serien reichte von der "Praxis Bülowbogen" (ARD) über "Dr. Stefan Frank" (RTL), "Hallo Onkel Doc" (SAT1), "Dr. Markus Methin" (ZDF), über Heimatfilmverschmelzungen wie "Der Bergdoktor" oder Ärzte an Urlaubsorten ("Das Buschkrankenhaus", "Klinik unter Palmen").
Die Berührungsängste mit Wissenschaft und Medizin der früheren Jahre verloren immer mehr an Bedeutung. Selbst für lange Zeit als Tabus gehandelte, fachärztliche Bereiche, wie die Gerichtsmedizin oder die Pathologie, werden heute bereits im Vorabendprogramm vorgestellt und hinterfragt. Die Patienten von heute sind mündiger und kritischer bei der Unterscheidung und Wahl zwischen Schulmedizin und alternativen Therapieformen. Dies geht natürlich nicht spurlos an den modernen Arztserien vorbei: Der Halbgott in Weiß der frühen 50er und 60er Jahre wurde nach und nach abgelöst vom schwulen Hausarzt, dem coolen Naturheildoktor und der zickigen Oberärztin.
Trotz der schlechten Prognosen für das Genre "Arztserie" (aus einer Einschätzung der deutschen Werbewirtschaft aus dem Jahre 2007), sprießen sie auch weiterhin wie Pilze aus dem Boden: Die gestylten und MTV-ästhetischen Jungärzte und Krankenschwestern. In schlecht gezimmerten Soap-Kulissen interessiert hierbei aber längst nicht mehr das Schicksal des Individuums, sondern vielmehr der kritische Blick auf das Befinden der gesamten Republik. Durch den Wunsch, immer mehr und immer jüngere Zuschauer anzusprechen (da es sich hierbei um die kaufkraftstärkste Zielgruppe handelt), verlieren die Ärzte in den Serien an Gesicht und Format - für sie rücken spektakuläre, möglichst realistisch inszenierte Notfälle in den Vordergrund. Getreu dem Motto: Wen interessiert schon eine Unterschenkelfraktur, wenn es auch der abgebissene Penis sein kann...?!? Das gute alte Stethoskop wurde längst vom Defibrilator ersetzt, welcher unter unheilsschwangeren Warnungen zum Einsatz kommt: "Achtung...Eins, Zwei, Drei...alle weg vom Tisch!!!"
Bei all diesen Einschätzungen stellt sich jetzt dem geneigten Leser und uns angehenden Ärzten die Frage, wie realistisch diese ganzen Serien aber überhaupt sind und wie realitätsnah sich die Behandlungsmethoden und Vorgehensweisen der Fernsehärzte darstellen. Wir haben mit einem Experten für Euch gesprochen - dem hausärztlich praktizierenden Allgemeinmediziner Herrn Dr. Eichner aus München.
medizinstudent.de: "Herr Dr. Eichner; vielen Dank für Ihre Bereitschaft, sich mit uns kurz über das Thema "Der Arzt im TV" zu unterhalten. Wie schätzen Sie das Thema derzeit ein?" Dr. Eichner: "Nun gut, es gibt sicherlich Serien, die einigermaßen an der Realität kratzen. "Emergency Room" wäre hierbei ein Beispiel, das mir spontan einfällt. Bei vielen anderen Produktionen stört mich zum einen die Geschwindigkeit, in welcher die Zuschauer mit medizinischen Fachausdrücken torpediert werden, zum anderen die Intention der Drehbuchautoren. Diese hätten vielleicht lieber Krimis schreiben sollen, anstatt solche Handlungsstränge in den Arztalltag zu zwängen."
medizinstudent.de: "Was ist in Ihren Augen das größte Manko der Ärzteserien im deutschen Fernsehen?" Dr. Eichner: "Medizinisch lernt der Laie anhand solcher Produktionen gar nichts. Schlimmer noch: Das entsetzliche und oftmals nervtötende medizinische Halbwissen, mit welchem viele Patienten beim Arztbesuch aufwarten, wird durch den Konsum solcher Sendungen noch verstärkt. Der Umgang unter den Kollegen ist größtenteils unrealistisch dargestellt, und die jungen Assistenzärzte gleichen oftmals karrieresüchtigen und dummen Vorschulmedizinern. Das ist diffamierend und hat nichts mit der Realität zu tun."
medizinstudent.de: "Weitere Probleme Ihrer Meinung nach?" Dr. Eichner: "Die Fernsehärzte (hierbei insbesondere die amerikanischen) scheinen allesamt Universalgenies zu sein. Hier wird ein Hausarzt auf einmal zum Neurologen, der zudem Darmspiegelungen durchführen kann. Andererseits kann auf bildgebende Verfahren wie Röntgen und Ultraschall oftmals gänzlich verzichtet werden. Das gehört aber eher in den Bereich der Science Fiction!"
medizinstudent.de: "Abschließend eine ganz ehrliche Antwort bitte: Welches war ihre persönliche Lieblingsserie, in denen Ärzte die Hauptrolle gespielt haben?" Dr. Eichner: (lacht!) "Ganz klar die Schwarzwaldklinik!"
medizinstudent.de: "Herr Dr. Eichner - wir danken Ihnen herzlich für das nette Gespräch!"