Tabak erhöht das Risiko für Lungenkrebs wie kaum ein anderer Faktor. Dennoch trifft das Bronchialkarzinom auch überproportional viele, die niemals gequalmt haben. Einige Forscher glauben inzwischen an einen speziellen Nichtraucher-Lungenkrebs.
Rund eine Million Tote weltweit pro Jahr, in Deutschland etwa 40.000. Lungenkrebs ist immer noch einer der gefährlichsten Killer für den Menschen. Bei Männern ist er damit die Nummer eins, bei Frauen steht er hinter Brust- und Darmkrebs. Im Durchschnitt bleibt dem Patienten, der von seiner bösartigen Wucherung in seiner Lunge erfährt, nur eine Wahrscheinlichkeit von rund 14 Prozent, fünf Jahre später noch am Leben zu sein.
"Selbst schuld, das kommt von den vielen Zigaretten." Oft müssen die Patienten nicht nur eine anstrengende Therapie, sondern auch noch das vernichtende Urteil ihrer Umgebung über sich ergehen lassen. Aber auch wenn der Tabak das Risiko für den Krebs in der Lunge um das 20-fache steigert, so trifft doch etwa jedes vierte Bronchialkarzinom einen Nichtraucher. Wenn aber der Glimmstängel als Risikoquelle Nummer eins wegfällt, so sollten andere Faktoren für die Entstehung der Zellwucherung beim Nichtraucher verantwortlich sein. Tatsächlich deuten Untersuchungen darauf hin, dass sich der Krebs dort anders entwickelt als bei Nikotinabhängigen.
Spurensuche bei Onkogen-Mutationen
Das kleinzellige Karzinom macht etwa ein Fünftel aller Lungenkrebsfälle aus und trifft fast ausschließlich Raucher. Das Adenokarzinom ist der vorherrschende Krebs bei Nichtrauchern und kommt generell ähnlich häufig wie das Plattenepithel-Karzinom vor, während der "Großzeller" seltener auftaucht. Viel Raum für Spekulationen eröffnet die Verteilung der Fälle auf die Geschlechter: Sind bei Lungenkrebs im allgemeinen zweieinhalb mal so viele Männer wie Frauen betroffen, kehrt sich das Verhältnis bei den Nichtrauchern um. So ergab eine kürzlich in Schweden durchgeführte Studie, dass auf 20,8 Frauen nur 13,7 Männer mit dem Tumor kommen. Die Autoren spekulieren, dass nichtrauchende Frauen viel häufiger unter dem Qualm von Partnern oder Arbeitskollegen leiden als Männer. Allerdings, so Ali Gazdar von der Texas-Universität in Dallas, reicht das nicht aus, um die hohe Lungenkrebs-Quote unter Nichtrauchern zu erklären.
Ähnliches gilt auch für Luftschadstoffe oder Umweltgifte. Auch hier erhöht die Belastung das Risiko, im Laufe des Lebens einen Lungenkrebs zu entwickeln. Jedoch hat keiner der Faktoren auch nur annähernd die Bedeutung des Tabakkonsums für die Entstehung des Bronchialkarzinoms.
Welche Unterschiede sind also für die unerwartete Diagnose Lungenkrebs bei den Abstinenzlern verantwortlich? Eher als Epidemiologen scheinen Gen-Analytiker der Lösung auf der Spur sein. Mutationen beim EGFR-Gen (Epidermal Growth Factor Receptor) sind die ersten Veränderungen an der DNA überhaupt, die mit dem Nichtrauchen assoziiert sind. Raucher weisen bei diesem Onkogen aus der Familie der Tyrosin-Kinase-Rezeptoren signifikant weniger Mutationen auf, wie eine Arbeitsgruppe des Sloan-Kettering Center in New York im letzten Jahr herausfand. Das Umgekehrte gilt für das Onkogen KRAS und dem Tumorsupressorfaktor p53, der bei Rauchern häufiger verändert ist. Weitere Unterschiede zeigen sich auch im Methylierungsmuster der DNA.
Nichtraucher überleben länger
Bei der Behandlung des Tumors haben Nichtraucher anscheinend die besseren Karten. Unabhängig vom Fortschritt der Tumorerkrankung, der Therapie und Komorbidität leben sie länger im Kampf gegen den Krebs. Studien aus Florida und Kalifornien zeigen deutlich verbesserte Chancen, die Diagnose "Bronchialkarzinom" mehr als fünf Jahre zu überleben. Besonders die Therapie mit den EGFR-Inhibitoren scheint bei Nichtrauchern Erfolg zu haben. In einer retrospektiven Studie konnten wiederum Ärzte des Sloan Kettering Centers eine vierfach höhere Ansprechrate bei metastasierendem Adenokarzinom feststellen. Auch Robert Pirker, Onkologe am Allgemeinen Krankenhaus in Wien wies vor kurzem in einem Interview auf die Chancen hin, die sich aus den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Tumors ergeben: "Die Daten zeigen eindeutig, dass Nichtraucher besser auf eine Therapie mit den neuen Tyrosin-Kinase-Inhibitoren ansprechen als Raucher".
Aber auch andere erfolgversprechende Therapien erhöhen die Lebenserwartung von Lungenkarzinom-Patienten. Im August ließ die europäischen Arzneimittelbehörde den Angiogenese-Inhibitor Bevacizumab zu, der in einer Phase III-Studie bei einem nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom erstmals eine mediane Überlebenszeit von über einem Jahr erreichte.
Genom-Landkarte Bronchialkarzinom
Vor wenigen Tagen veröffentlichte schließlich Nature eine "Genom-Landkarte" des Adenocarcinoms in der Lunge. 57 Gene waren dabei häufig verändert oder fehlten gegenüber den Kontrollen. Besonders Interessant erschien den Forschern dabei das Gen NKX2.1. Es kodiert für einen Trankriptionsfaktor, der spezifisch in Adenokarzinomen verändert ist und das Wachstum des Tumors beeinflusst. Die neuen Daten könnten vielleicht auch die entscheidenden Spuren legen, um die Entstehung von Lungenkrebs bei Nichtrauchern endlich besser zu erklären.