Mit dem weltweit ersten zur Verfügung stehenden Gen-Chip lassen sich jetzt erbliche Netzhauterkrankungen frühzeitig präzise diagnostizieren, Risiko und Progredienz besser abschätzen. Vielen jungen Patienten kann dadurch die Unsicherheit für eine genetisch bedingte Augenerkrankung, die die Erblindung nach sich ziehen kann, genommen werden.
Der Ret-Chip (Retina-Chip) wurde von Wissenschaftlern am Institut für Humangenetik der Universitätsklinik Regensburg unter der Leitung von Professor Bernhard Weber entwickelt. Auf ihm können 30.000 Basenpaare und 72 verschiedene Gene erfasst und in einem Arbeitsgang analysiert werden. Eine aufbereitete Blutprobe, aus der die Erbsubstanz durch PCR-Technik vemehrt wird, ist dafür ausreichend. Bei der familiären Risiko-Abklärung für die am häufigsten auftretende Retinitis Pigmentosa (RP) mit ihren unterschiedlichen Varianten ist dieser Gen-Chip besonders bedeutsam. Denn: Eins von 4000 Kindern wird mit einem erblichem Netzhautleiden geboren. Weltweit sind etwa drei Millionen, in Deutschland zwischen 30.000 bis 40.000 Menschen, betroffen. Die RP lässt sich zwar gut diagnostizieren, doch ist diese Erbkrankheit bislang noch nicht heilbar, die Progredienz verläuft unterschiedlich. Manche Menschen erblinden völlig, bei anderen wiederum ist die Sehfähigkeit drastisch eingeschränkt. Jeder 80. Mensch trägt, so besagen Experten-Schätzungen, ein verändertes RP-Gen in sich.
Vielfalt der Gene ist zu groß
Dass Humangenetiker bislang nur bei etwa zehn bis 20 Prozent der Patienten das ursächliche Gen überhaupt diagnostizieren konnten, liegt an der großen genetischen Vielfalt. "Bislang konnten Forscher fast 140 Gene charakterisieren, die bei erblichen Netzhautleiden relevant sind, doch allein 40 verschiedene Gene spielen bei den unterschiedlichen Formen der Retinitis Pigmentosa eine Rolle", sagt Professor Bernhard Weber, Vorstand des Instituts für Humangenetik der Universität Regensburg. Derzeit sind 30 Patienten, deren genetisches Risiko bekannt ist, in eine Studie mit dem Ret-Chip eingeschlossen. Dadurch wollen die Wissenschaftler bis zum Jahresende herausfinden, ob der Chip die Diagnose bestätigt oder ob noch präzisiere Aussagen durch die Genanalysen möglich sind. Die Kosten einer Analyse mit dem Ret-Chip, so schätzt Professor Weber, werden zwischen 3000 und 4000 Euro liegen. Bei einer herkömmlichen Untersuchungsmethode der 72 Gene würden pro Patient 100.000 Euro anfallen.
Neben der RP können durch den Ret-Chip auch die Risiken für weitere Netzhauterkrankungen früher vorhergesagt werden. So beispielsweise für erbliche Formen der Makuladegeneration, oder das Usher-Syndrom, bei dem die RP zusätzlich zu einer angeborenen Innenohrschwerhörigkeit oder Taubheit auftritt. Auch das Bardet-Biedl-Syndrom, bei dem die RP mit gravierenden Entwicklungsstörungen auftritt. Auch der juvenile Morbus Stargardt, bei dem sich toxische Abbauprodukte im Pigmentepithel der Retina einlagern, die durch eine Veränderung im ABCA4-Gen hervorgerufen werden, lassen sich durch den Ret-Chip vorhersagen.
Vor allem beruhigend
Die Pro Retina e.V., deren Vorsitzender Dr. Claus Gehrig seit seinem 20. Lebensjahr von Retinitis Pigmentosa betroffen und fast völlig erblindet ist, unterstützt mit der "Pro Retina Stiftung zur Verhütung von Blindheit" die Entwicklung des Chips mit 250.000 Euro." Da Retinitis Pigmentosa-Patienten in der Augenarztpraxis nicht so häufig gesehen werden, sollte ein Patient bei einem Verdacht schnell an eines der Zentren (Bonn-Siegburg, Berlin, Tübingen, Hamburg, Regensburg) überwiesen werden. "Denn der Chip kann den Weg zu definitiven Diagnostik verkürzen helfen", so Gehrig.
Besonders für junge Menschen aus disponierten Familien kann eine frühe Risiko-Abklärung die Berufsentscheidung beeinflussen, oder sie psychisch beruhigen, wenn ein Gendefekt ausgeschlossen werden kann. Das zukunftsweisende Ziel, dem sich die Forscher schrittweise nähern wollen, liegt klar vor Augen: Neben der genormten Diagnostik zur Gen-Identifizierung soll auch der Mechanismus für eine Erblindung gefunden und dann die Möglichkeiten für eine Intervention ermittelt werden. Der letzte Schritt soll dann in einer Gen-Therapie münden, die Betroffene mit einem unheilbaren Netzhautleiden ihr Augenlicht erhalten kann.