Niedergelassene Ärzte wären gut beraten, sich eingehender mit der Diagnose von Alzheimer zu befassen: Experten erwarten bis 2050 eine wahre Explosion der Fallzahlen. Auch Deutschland ist betroffen.
Die Prognosen der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health dürften nicht nur der deutschen Gesundheitsministerin den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Schon in 33 Jahren werden vermutlich mehr als 106 Millionen Menschen weltweit an Morbus Alzheimer leiden - von denen rund 43 Prozent auf eine intensive Pflege und Betreuung angewiesen sein dürften. Die am 10. Juni in Washington von Ron Brookmeyer, Professor für Biostatistik an der Bloomberg School of Public Health, auf der "Second Alzheimer's Association International Conference on Prevention of Dementia" vorgestellte Studie zeigt, dass im Jahr 2050 einer von 85 Erdenbürgern an der neurodegenerativen Erkrankung leiden wird.
30.000 Euro zu Lasten der Familie
Die Implikationen für die betroffenen Gesundheitssysteme sind enorm - auch hierzulande. Bereits ein am 19. September vergangenen Jahres vorgestelltes Papier, das der an der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie der Universität Bayreuth lehrende Professor Peter Oberender vorstellte, offenbarte die Brisanz in Punkto Alzheimer.
Dass schon heute rund 650.000 Menschen, immerhin 72 Prozent aller Demenzkranken, an Morbus Alzheimer leiden, ist zwar kein Novum. Weitaus weniger bekannt hingegen ist unter Ärzten indes, welche sozioökonomischen Folgen daraus resultieren. So kommen pro Alzheimer-Patient und Jahr Oberender zufolge insgesamt 43.800 Euro an volkswirtschaftlichen Kosten zustande. Nahezu 30.000 Euro davon berappt die Familie des Betroffenen, mit 67.9 Prozent trägt sie den größten Teil der anfallenden Gesamtkosten für die Betreuung des Erkrankten. An zweiter Stelle steht die gesetzliche Pflegeversicherung (GPV), denn 12.965 Euro (29,6 Prozent) stammen aus diesem Topf. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), rechnet Oberender vor, beteiligt sich mit 1095 Euro je Alzheimer-Patient - und bildet mit 2,5 Prozent das Schlusslicht der drei Finanzierungsquellen.
Im Sog der Kostenexplosion
Dabei ist das für die betroffenen Familien noch nicht einmal die schlimmste Statistik. Schlüsselt man nämlich die Kostenbeteiligung nicht nur nach Trägern, sondern auch nach dem Schweregrad der Erkrankung auf, gelangt man zu einem beängstigenden Bild. Mehr als 70.000 Euro bringen beispielsweise Angehörige für die Pflege und Betreuung auf, wenn der Patient einen MMSE-Score aufweist, der kleiner als 10 ist. In diesem Fall beträgt die Belastung der GKV nur noch 700 Euro, während die GPV immerhin rund 24.000 zuschießt.
Für die Volkswirtschaft sieht die Bilanz so aus: Rund 18 Milliarden Euro machen die direkten Gesamtkosten bei neurodegenerativen Erkrankungen aus, wobei die medizinische Versorgung inklusive Medikamente lediglich 10 Prozent dieser Summe stellen. Bezieht man auch die Pflegekosten - direkt und indirekt - ein, kommt man schon heute auf eine Summe von 40 Milliarden Euro pro Jahr.
Bioinformatiker Brookmeyer indes geht von einer Vervierfachung der globalen Fallzahlen bis 2050 aus. Dabei setzt der Amerikaner jene Parameter ein, die auch hierzulande voll zum Tragen kommen: die steigende Lebenserwartung und eine alternde Gesellschaft. Treffen seine Prognosen tatsächlich zu, wäre Deutschland mitten im Sog der Kostenexplosionen. Mehr als 115 Milliarden Euro im Jahr betrüge in einem solchen worst-case Fall die volkswirtschaftliche Belastung. Selbst die vorsichtigen Schätzungen - ohne Berücksichtigung der neuen Daten aus den USA - lassen Kosten in Höhe von rund 70 Milliarden Euro als realistisch erscheinen. Die Frage aber lautet: was tun?
Der Schwerpunkt liegt in Asien
Experten wie Brookmeyer oder Oberender setzen vor allem auf eine Waffe. Innovative Antidementiva könnten den globalen Trend zwar keinesfalls stoppen, gleichwohl aber zu einer Verzögerung des Eintretens der Pflegebedürftigkeit führen. Schon ein Punkt auf der MMSE-Skala bringt eine Kostenänderung von 1500 bis 2000 Euro pro Patient und Jahr, meint Oberender.
So führe die rechtzeitige Einführung des Wirkstoffes Memantine zur Einsparung von immerhin 50 Pflegestunden im Monat. Auch Acetylcholin-Esterasehemmer führen zu einer Verzögerung der Ersteinweisung um 21 Monate - die permanente Heimeinweisung tritt 12 Monate später ein. Brookmeyer wiederum errechnete, dass die rechtzeitige Medikation innovativer Mittel zu einer Reduzierung der globalen Fallzahlen bis 2050 um immerhin 12 Millionen Patienten führen könnte.
Die von ihm durchgeführten Computersimulationen, die allesamt auf Bevölkerungs-Projektionsdaten der Vereinten Nationen basieren, geben zumindest für Deutschland ein klein wenig Entwarnung. Denn von den erwarteten 106 Millionen Alzheimerkranken weltweit werden im Jahr 2050 knapp 62,85 Millionen aus Asien stammen. Erst der Rest verteilt sich auf die anderen Länder der Erde.