Im Kampf gegen Krebs setzen Medizinforscher auf neue Waffen: Bakterien sollen Tumorzellen der Garaus machen. Die Idee ist nahezu 50 Jahre alt - jetzt gibt es ernsthafte Fortschritte zu vermelden.
Die Idee klingt abenteuerlich und irrwitzig zugleich: Ausgerechnet Krankheitserregende Bakterien sollen in Zukunft den Krebs besiegen. Tatsächlich gelang es Forschern am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, "ferngesteuerte" Salmonellen in die Tumore von krebskranken Mäusen einzuschleusen. Der Clou: Die genetisch veränderten Mikroben könnten gleichsam auf Knopfdruck Substanzen produzieren - was sie zu biologisch aktive Wirkstoffspender avancieren lässt.
Geht es nach Ansicht von Helmholtz-Forscher Holger Lößner, steht den aus der Lebensmittelbranche bekannten und gefürchteten Bazillen Großes bevor. Nicht nur könnten die Erreger gezielte Zellgifte gegen den Tumor ausschütten. Sie wären sogar in der Lage, die rettenden Substanzen dort abzuladen, wo sie Onkologen haben wollen: "Mitten im Krebsgeschwür."
Grundlage für diese Hoffnung bietet ein kurioses Phänomen, das Forscher schon Mitte des 19. Jahrhunderts beobachteten. Immer dann, wenn im menschlichen Körper ein Krebsgeschwür wuchert, wandern dort häufig Bakterien ein und vermehren sich. "Wir vermuten, dass das abgestorbene Gewebe im Inneren von Tumoren den Bakterien eine geschützte und nährstoffreiche Umgebung bietet und sie anlockt", erklärt Siegfried Weiß, Leiter der Arbeitsgruppe "Molekulare Immunität" am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, dieses Kuriosum. Die sauerstoffarme Umgebung bietet offensichtlich den Bakterien einen "Platz an der Sonne" - entsprechend gut wachsen die Erreger.
Dass sich der Drang der Bakterien, Tumore zu besiedeln, auch für therapeutische Zwecke beim Menschen nutzen ließe, konnten die Forscher jetzt im Tierversuch belegen: Sie pflanzten Bakterien der Gattung Salmonella typhimurium ein Gencluster ein, das nur in Gegenwart eines speziellen Zuckermoleküls namens L-Arabinose aktiv wird - und dann Licht produziert. Daraufhin infizierten die Forscher krebskranke Mäuse mit diesen Salmonellen. Verabreicht man den Tieren anschließend den L-Arabinose-Zucker leuchten die in den Tumor eingewanderten Bakterien auf, so dass die Lage und Größe des Tumors analysiert werden kann.
Zusätzlich zum Licht, so die Vision der Wissenschaftler, sollen die Bakterien künftig einmal direkt am Zielort Krebsmedikamente produzieren. Oder aber immunstimulierende Substanzen: Diese Fracht könnte den Tumor dann für die Abwehrzellen des Körpers markieren und eine heilsame Immunreaktion auslösen. "Für den medizinischen Einsatz würde man natürlich keine gefährlichen Krankheitserreger einsetzen", erklärt Lößner, "sondern Mutanten-Stämme, die für den Menschen unschädlich sind."
Die Idee ist kein Einzelfall - und wird jenseits des Atlantiks schon seit Jahren konsequent verfolgt. So berichteten Forscher am Department of Chemical Engineering der University of Massachusetts at Amherst ebenfalls über die Potenziale von Bakterien im Kampf gegen die Tumore. Für Aufsehen sorgte vor zwei Monaten das Team um Rachel W. Kasinskas und Neil S. Forbes. Den Wissenschaftlern war es gelungen, den auch am Helmholtz-Zentrum eingesetzten Erreger Salmonella typhimurium bis ins Innere von Tumorzellen vordringen zu lassen - im wahrsten Sinne des Wortes ein echter Durchbruch. Denn während konventionelle Chemotherapeutika lediglich an der Oberfläche der Krebszellen nagen, erreichen die bakteriologischen Pendants selbst die innersten Schichten der Tumorzellen.
Auf das enorme Potenzial aus dem Reich der lebenden Winzlinge wurden Mediziner bereits in den 1960er Jahren aufmerksam. Damals begannen die ersten Experimente mit Clostridium-Erregern. Doch erst Anfang dieses Jahrtausends kam es zu einem ernsthaften Comeback der Bazillen-Kur in spe. Dabei spielen Salmonellen eine wichtige, aber bei weitem nicht die einzige Rolle innerhalb der Armada von therapeutischen Mikroben.
Ob Clostridium oncolyticum, Clostridium acetobutylicum oder Bifidobacterium longum, solche Bakterien könnten in Kombination mit klassischen Wirkstoffen wie mitomycin C und cytoxan schon bald zum Einsatz kommen.
Eine als combination bacteriolytic therapy (COBALT) bezeichnete und bereits im Jahr 2001 vorgestellte Methode etwa zeigte sich im Tiermodell erfolgreich. Als Erreger der Wahl für die COBALT-Therapie erwies sich ausgerechnet das extrem toxische Clostridium novyi, nachdem daraus eine gentechnisch ungefährliche Variante hergestellt wurde. Zum Erstaunen der Onkologen führte COBALT nicht nur zu erheblichen Regressionen, selbst die komplette Heilung der therapierten Mäuse trat bei vielen Tieren ein.
Neben COBALT scheint auch ein anderes Verfahren vielversprechend zu sein: ADEPT. Bei der als antibody-directed enzyme prodrug therapy bezeichnete Methode führen gentechnisch hergestellte Bakterien zur Produktion von Enzymen - die anschließend direkt im Tumor wirken und dort entsprechende "Killer-Substanzen" freisetzen.
Geradezu martialisch hingegen klingt ein Akronym, das für combined bacteriolytic antiangiogenesis therapy steht: COMBAT. Hier sollen die Erreger nicht nur den Tumor befallen, sondern in Kombination mit Medikamenten auch noch dessen Blutzufuhr unterbinden.
Für Helmholtz-Forscher Weiß hingegen bleiben Salmonellen die vielversprechende Variante: "Es hätte schon einen gewissen Reiz, wenn ausgerechnet diese Bakterien eines Tages zur Heilung einer so schrecklichen Krankheit wie Krebs dienen könnten."