Patienten sollen sich in Zukunft verstärkt um ihre Medikamentation und Therapieüberwachung kümmern - was dem Gesundheitssystem womöglich erhebliche Entlastung einbringen könnte. Ohne Einsatz der Apotheken freilich wird das kaum zu stemmen sein.
Die Zahlen aus den USA ließen Gesundheitsökonomen aufhorchen. Mehr als 1,9 Billionen US-Dollar verschlang das Gesundheitssystem allein im Jahr 2004, immerhin 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Vereinigten Staaten. Als ob derartige Summen nicht schwerwiegend genug wären, legten die Gesundheitsforscher Harold J. DeMonaco vom Massachusetts General Hospital und Eric von Hippel am Massachusetts Institute of Technology noch einen drauf: Bis 2010, so die Prognose der beiden Experten, sei mit einem weiteren Anstieg der Gesundheitskosten auf exorbitante 20 Prozent des amerikanischen BIP zu rechnen.
Zu teuer: Chronische Erkrankungen
Den Großteil dieser horrenden Summe müssen amerikanische Health-Care-Einrichtungen für die Behandlung chronischer Erkrankungen aufbringen. Und genau das, konstatieren DeMonaco und von Hippel jetzt im Fachjournal PLoS, ließe sich ändern: Mit einem bis dato unbekannten Tool: Self-Management für Patienten.
Der Aufruf nach einem "Behandle dich selbst" für Kranke hat mit blinder Sparwut oder Aktionismus nichts zu tun. Im Gegenteil. Es geht um die Einbeziehung der Ressource Patient im Gesamtprozess der Kostenentstehung. Auf Deutsch: Der Patient soll unter Anleitung von Ärzten und Apothekern lernen, die Therapieüberwachungen selbst durchzuführen. Zwar gibt es auch hierzulande seit Jahren einen Trend zum "mündigen Patienten", der sich über Internet, TV oder aus Büchern über seine Erkrankung informiert, bevor er seinen Arzt aufsucht. Self-Management jedoch ist im Vergleich zu dieser Art der Einbeziehung sehr exakt definiert und besteht aus drei Säulen:
Wie sich diese Theorie praktisch umsetzen lässt, schildern die MIT-Forscher anhand einfacher Beispiele aus dem Alltag. So müssten Patienten mit Depression heute im Falle einer Behandlung mit Medikamenten regelmäßig ihren Psychiater aufsuchen, der dann anhand standardisierter Fragen die Wirkung der verabreichten Psychotherapeutika evaluiert und dann, je nach Auswertung des Fragenkomplexes, eine höhere oder niedrigere Dosis ansetzt. "Es sollte aber möglich sein, Patienten einen solchen Standardbogen und einen entsprechenden Dosierungsplan mitzugeben", fordern daher DeMonaco und von Hippel.
Apotheker als Berater
Dem ärztlichen Elan stehen jedoch handfeste Hürden des Alltags gegenüber: Noch scheuen die meisten Patienten die Übernahme der aus ihrer Sicht hochkomplexen Therapieüberwachung. Der Anteil jener Menschen, die sich das Ausfüllen und die anschließende Selbstdosierung zutrauen, liegt je nach Erkrankung nicht selten bei lediglich 10 Prozent - der Rest gibt auf, bevor das Self-Management überhaupt starten kann. Doch diese Klippe lässt sich umgehen. Denn die Nahtstelle zwischen Arzt und Patient ist schon heute vorhanden - Apotheken könnten zum wichtigsten Bindeglied im Gesamtprozess des Self-Management avancieren. Der Grund ist einfach auszumachen: Die meisten Menschen lassen sich hier ohnehin zusätzlich zum Arztgespräch in Sachen Arzneimittel beraten.
Umfragedaten belegen diesen Trend. So wollte das Institut für Handelsforschung (IfH) in einer Studie herausfinden, wie Stammkunden mit den Leistungen ihrer Apotheke zufrieden sind. Das Ergebnis ließ aufhorchen: Immerhin 76 Prozent der befragten 2800 Stammkunden waren "sehr zufrieden", und selbst die Gelegenheitskunden zeigten sich zu 29 Prozent ebenso überzeugt. Der Patient vertraut demnach "seiner" Apotheke uns erwartet dort eine kompetente Beratung - die in Zukunft auch das Handling der verschiedenen Self-Management-Programme umfassen dürfte. Das von der Klinik in die Hand gedrückte Self-Management Formular könnte also seine abschreckende Wirkung verlieren, wenn Apotheken den Trend aufnehmen und darauf verstärkt reagieren.
Positive Beispiele
Dass Self-Management an sich aus medizinischer Sicht sinnvoll ist, zeigte vor zwei Jahren eine im Fachblatt British Medical Journal publizierte Studie. Darin berichten Ärzte von der University of Birmingham über ihre Erfahrungen mit dem Blutgerinnungshemmer Warfarin. Während sie die eine Patientengruppe selbst regelmäßig untersuchten und anhand der Blutwerte die Warfarin-Dosis immer wieder optimierten, verfuhr die zweite Studiengruppe nach einem eigens dazu ausgearbeiteten Self-Management-Plan - und behandelte sich selbst. Erstaunliches Ergebnis: In Punkto Therapieerfolg gab es zwischen beiden Gruppen keinen signifikanten Unterschied. Die bis dahin weltweit größte Studie ihrer Art rückte mit einem Schlag die Bedeutung von Self-Management-Systemen ins Rampenlicht: Allein in Großbritannien nehmen jedes Jahr über 950.000 Patienten den Wirkstoff Warfarin ein - die Kostenersparnis wäre bei einer flächendeckenden Etablierung des Self-Managements enorm.
Als wegweisend für das Potenzial von Self-Management Systemen gilt allerdings eine ganz andere prospektive Multicenter-Studie,- und die kommt aus Deutschland. Weil der Großteil der Patienten mit Vorhofflimmern durch ein thromboembolisches Ereignis gefährdet ist, sich die Komplikationsrate jedoch durch eine effiziente Antikoagulation um zwei Drittel reduzieren lassen können, wollten Ärzte im Rahmen der so genannten SMAAF-Studie die Qualität der Therapieüberwachung durch das Selbstmanagement testen.
Fazit der Studienautoren: "Die Therapieüberwachung der oralen Antikoagulation durch das INR-Selbstmanagement ist bei Patienten mit Vorhofflimmern der Betreuung durch den Hausarzt nicht unterlegen".