Mit DNA-Chips der neuesten Generation wollen deutsche Genomforscher intensiver als je zu vor nach Krankheitsgenen fahnden. Dass sich der Aufwand lohnt, zeigen neueste "Top-Level"-Veröffentlichungen.
Viel vorgenommen hat sich das Nationale Genomforschungsnetz in den nächsten Jahren. "20 Milliarden Einzeldaten", so Professor Peter Nürnberg aus Köln, "bedeuten den Einstieg in eine neue Welt der Genetik." Der Koordinator der Genotypisierungs-Plattform des Forschungsverbunds beschreibt eine der weltweit größten Studien zur Erforschung von Volkskrankheiten in Deutschland. Die Forscher wollen dabei das Erbgut von rund 25 000 Personen quer durch alle Bevölkerungsschichten untersuchen und mit großem technischen Einsatz nach neuen Risikofaktoren fahnden.
Von "Altern" bis "Tuberkulose"
Die Liste der Krankheiten, die für die DNA-Spezialisten von rund zehn Forschungsinstitutionen von Interesse ist, liest sich wie ein "Who is Who" der bekanntesten heimischen Leiden, aber auch tropischer Nachbarn. Sie reicht von Mager- und Fettsucht über Depression bis hin zu Schuppenflechte, Herzkrankheiten und schließlich Malaria und Tuberkulose. Aber auch am anderen Ende der Lebens-Risikoskala wollen die Genetiker nach Spuren für Diagnostik und Therapie der Zukunft suchen: Welche Gene sorgen für ein hohes Alter ohne Krankheiten? Welche Abschnitte im Genom beschleunigen oder bremsen den körperlichen Verfall und bieten vielleicht Angriffspunkte für zukünftiges "Anti-Aging",
Um die Stecknadeln für die einzelnen Krankheiten mit erblichen Risiken im Genom-Heuhaufen aufzuspüren, suchen die DNA-Analytiker nach einzelnen Basenaustauschen im DNA-Strang, so genannten "Single Nucleotide Polymorphisms (SNP)" . Im Durchschnitt alle 1000 Basenpaare taucht ein solcher "Wackelkandidat" auf. Mehr als 10 Millionen solcher SNPs konnten bisher aufgespürt werden, mehr als 40 Prozent davon zeigten einen echten Polymorphismus, das heißt, sie kommen mit einer Häufigkeit von mehr als einem Prozent in der Bevölkerung vor.
Mehr als 900 000 SNPs bei einer Probe davon lassen sich nun durch DNA-Hybridisierung mit einem Genchip der neuesten Generation entdecken. Der "SNP Array 6.0, vom amerikanischen DNA-Chip -Spezialisten Affymetrix letzte Woche auf den Markt gebracht, enthält nahezu doppelt so viele Varianten wie sein Vorgänger. Nur selten liegen diese Polymorphismen in einem Bereich, der den Code für ein funktionierendes Genprodukt enthält. Oft ist die Mutation nur ein Marker für eine Veränderung ganz in der Nähe, die gemeinsam in einem 'Kopplungsungleichgewicht' weitervererbt wird. Daher erhoffen sich die NGFN-Detektive nicht nur Hinweise auf ihre "Spezialkrankheit" sondern suchen "auch gezielt die Verbindungen zwischen ähnlichen Krankheiten, um krankheitsübergreifende Gene zu identifizieren. Die Möglichkeit, eine derart große Gruppe von Personen wie in dieser Studie zu untersuchen, ist grundlegend für das Verständnis komplexer genetischer Zusammenhänge." beschreibt Professor Stefan Schreiber aus Kiel seine Erwartungen an das Projekt. Neben den Affymetrix-Chips kommen dabei auch solche der Konkurrenzfirma Illumina zum Einsatz. Sie zeigen nicht nur den Austausch von Basenpaaren an, sondern - wie auch die von Affymetrix - die Kopienzahl von kurzen nicht-polymorphen DNA-Abschnitten. Oft sind solche kurzen Sequenzen mehrmals hintereinander geschaltet und typisch für eine bestimmte Personengruppe.
Neue Risikogene für Diabetes und Bruskrebs
Das ambitionierte deutsche Projekt ist zwar mit seiner geplanten Teilnehmerzahl eines der weltweit größten, aber nicht das erste seiner Art. Seit Jahren untersuchen Forscher aus sechs Nationen genetische Unterschiede bei Menschen aus allen Erdteilen im Rahmen des HapMap-Projekts. Auch im Vereinten Königreich startete das Wellcome Trust Case Control Consortium vor einigen Jahren einen Anlauf, Verbindungen zwischen Krankheitsrisiken und charakteristischen DNA-Sequenzen aufzuzeigen. Auch wenn dabei sehr viel weniger Proben analysiert wurden, so zeigt sich allein in den Veröffentlichungen dieses Jahres, wie wichtig solche Analysen des ganzen Genoms sind. Im Frühjahr veröffentlichten Nature und Science neue Risikoloci für Typ 2 Diabetes. Eine andere Studie zeigte Kopplungsungleichgewichte zwischen bestimmten Allelen und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Schließlich erschien im elektronischen Online-Vorabdruck von Nature an diesem Montag das neueste Ergebnis solcher Untersuchungen. Fünf neue Stellen im Erbgut deuten auf ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs hin. Vier davon befinden sich in funktionierenden Genen.
Wenn das deutsche Vorhaben ähnliche Erfolgsgeschichten hervorbringt, könnte sich die Hoffnung von Stefan Schreiber schon bald erfüllen. "Wir möchten mit diesem Großprojekt weitere Studien dieser Art anstoßen".