Für schwer depressive Patienten ist die Welt oft einfach nur grau und trostlos. Tabletten und Psychotherapie reichen nicht, um das bunte Leben zurück zu bringen. Psychiater in Bonn versuchen es jetzt mit Taktgebern direkt im Gehirn: Mit Schrittmacherelektroden wollen sie das Belohnungszentrum auf Trab bringen - und haben erste Erfolge.
Etwa 15 Prozent aller Menschen erkrankenirgendwann in ihrem Leben an einer Depression. Den meisten dieser Patientenkann mit einer Psychotherapie und/oder Medikamenten wirksam geholfen werden. Esgibt aber auch Patienten, bei denen keine Behandlung hilft. "Sie sindtherapieresistent", heißt es dann. Dies bedeutet für die Patienten, dass sie inihrer grauen, bedrückenden Welt gefangen bleiben. Suizide sind daher nichtselten. Nun gibt es jedoch auch für diese Patienten einen neuenHoffnungsschimmer am Horizont: die tiefe Hirnstimulation.
Belohnungund Vorfreude entsteht im Gehirn
Bisher wird dieses Verfahren bei MorbusParkinson und auch Epilepsie erfolgreich eingesetzt. Häufig ließ sich beiPatienten eine Stimmungsaufhellung feststellen. Dies brachte die Arbeitsgruppevon Professor Thomas Schläpfer in Bonn auf die Idee, auch bei Depressiven Elektrodengezielt in bestimmte Hirngebiete zu implantieren und über deren Reizung mittelselektrischem Pulsgeber Einfluss auf die Krankheit zu nehmen. Aber wo sollte nunin den komplizierten Windungen des Gehirns stimuliert werden? Die bisherigenUntersuchungen konzentrierten sich vor allem auf zwei bestimmte Gehirnzentren. "Wir haben dagegen eine dritte Region stimuliert, den so genannten Nucleusaccumbens", erklärt der Bonner Psychiater Thomas Schläpfer, der die Studiezusammen mit seinem Kollegen Professor Volker Sturm vom Uniklinikum Kölngeleitet hat.
Der Nucleus accumbens ist eine haselnussgroße Struktur imBelohnungszentrum des Gehirns. Dieses Zentrum ist ungemein wichtig, denn essagt uns, dass das, was wir tun, gut für uns ist. Positive Erfahrungen werdenso gemerkt und Vorfreude wird ausgelöst. Schläpfer erläutert: "Depressive sindoft inaktiv und nicht in der Lage, sich zu freuen. Es gibt also manifesteHinweise, dass der Nucleus accumbens bei der Entstehung der Krankheit eineSchlüsselrolle spielt."
Es wirktinnerhalb weniger Minuten
Mitdiesem Wissen machten sich die Forscher an die Arbeit und begannen bei denersten drei Patienten - zwei Männer und eine Frau - das Belohnungszentrummittels Elektroden zu stimulieren. Alle diese Patienten litten seit Jahrenunter schwersten Depressionen, ohne dass die gängigen Methoden ihnen Linderungverschafften. "Um die diffizilen Hirnstrukturen nicht zu verletzen, wurdezuerst das Gehirn der Patienten in einem hoch auflösenden Kernspintomographengenau vermessen", erläuterte Schläpfer. Anhand der millimetergenauen Karteverlegten sie die feinen Kabel durch die Großhirnrinde der Patienten bis zum Nucleusaccumbens. Hier platzierten sie schließlich zwei Elektroden, die die Funktiondes Belohnungszentrums wiederherstellen sollten. Ein in die Brust implantierter Impulsgeber sorgtefür die Ausstrahlung der Reize. Die Wirkung setzte fast unmittelbar nach demersten Reizgeben.
Die Patienten, die vorher in schwersten Depressionengefangen und zu kaum einer Aktion fähigwaren, zeigten wieder Interesse an der Welt und planten Aktivitäten. "Einer derPatienten äußerte schon eine Minute nach Beginn der Stimulation den Wunsch, denKölner Dom zu besteigen, und setzte ihn am nächsten Tag in die Tat um", berichteteSchläpfer. Aber auch die behandelte Frau erzählte, dass ihr Kegeln wieder Spaßmache. Auch die Wissenschaft bestätigte die guten Erfolge: Innerhalb von 14Tagen reduzierten sich die Werte auf der Hamilton-Depressionsskala von 43 auf25 sowie von 35 auf 25 und 20. Mittels PET konnten Blutfluss- und Stoffwechseländerungen nachgewiesen werden.
Hoffnung auf einbesseres Leben
Ein Absetzen erwies sich jedoch als unmöglich, denn so bald derPulsgeber keine Signale mehr auslöste, kehrte die Depression mit Macht zurück."Ein Ausschalten war ethisch nicht vertretbar", sagte der Bonner Psychiater.Außer anfänglichen Wundschmerzen konnten keine weiteren unerwünschten Wirkungenverzeichnet werden. Allerdings schränkt der Mediziner ein, dass dies ersteVorversuche sind und die Patientenanzahl zu klein, um schon endgültigeSchlussfolgerungen zu ziehen. Weitere Versuche haben gezeigt, dass anscheinendnicht jeder Patient auf diese Methode anspricht. Zudem ist jeder Eingriff in dasGehirn immer noch eine sehr risikoreiche Operation, für die laut desSpezialisten nicht jeder Patient geeignet ist. Zukünftig sollten dieSchrittmacher-Versuche fortgeführt werden - auch um zu klären, welche Patientenvon dieser aufwändigen Methode in den Tiefen des Hirns profitieren. Jedoch kannjetzt schon ein positives Resümee gezogen werden: "Wir geben damit diesenschwer kranken und sogar therapieresistenten Patienten die Chance, wieder amLeben teil zu nehmen", so Schläpfer.
Die Ergebnisse der Vorstudie fandauch die Fachwelt so Aufsehen erregend, dass sie nun in der renommiertenZeitschrift Neuropsychopharmacology veröffentlicht wurden.