Ein Großteil der Erwachsenen ist Träger von Herpesviren. Ein Lippenherpes ist zwar lästig, bleibt aber in der Regel ohne Folgen. Der Genitalherpes hingegen scheint bei Schwangeren die Gehirnentwicklung des Kindes negativ zu beeinflussen und steht sogar im Verdacht, Autismus zu fördern.
Infektionen während der Schwangerschaft können je nach Erkrankung zu Entwicklungsverzögerungen und Störungen der Gehirnentwicklung beim Fötus führen. Dabei sind nicht immer die Erreger selbst die Ursache für solche Fehlentwicklungen. Neben der direkten Infektion des Fötus wurden ebenso Entzündungsreaktionen, mütterliche Zytokine sowie Antikörper, die die Plazentaschranke überwinden, als mögliche Ursachen diskutiert. Eine aktuelle Studie untersuchte nun 442 norwegische Mütter und ihre autistischen Kinder und verglich deren Daten mit einer 464 Frauen umfassenden Kontrollgruppe. Die Forscher aus dem Bereich der Infektiologie und Immunologie bestimmten während der Schwangerschaft und kurz nach der Geburt im Blut der Frauen die IgG-Titer gegen Toxoplasma gondii, das Rötelnvirus, das Zytomegalievirus (CMV) sowie die beiden Herpesviren Herpes simplex Typ 1 (HSV-1) und Herpes simplex Typ 2 (HSV-2).
Wenn die Frauen während ihrer Schwangerschaft hohe Titer für anti-HSV-2-IgG aufwiesen, hatten besonders Jungen später tatsächlich ein höheres Risiko, eine autistische Störung zu entwickeln. Stieg der spezifische IgG-Titer beispielsweise um das 2,7-Fache an, verdoppelte sich das Autismus-Risiko des Kindes (OR: 2,07; 95 % KI; p = 0,03). Erhöhte Antikörpertiter zeigen einerseits frisch erworbene Infektionen mit HSV-2 an. Andererseits jedoch sind sie auch ein Zeichen für reaktivierte latente Virusinfektionen, was in der aktuellen Studie nicht weiter unterschieden wurde. In Norwegen sind allerdings circa 27 % der schwangeren Frauen mit HSV-2 infiziert; symptomlose Verläufe sind dabei nicht selten. Kein Zusammenhang bestand indes zwischen dem Autismus-Risiko und den IgG-Titern gegen Toxoplasma gondii, HSV-1, CMV oder Röteln.
Noch immer sind die eigentlichen Ursachen für Autismus weitestgehend unbekannt. Es gibt zwar Hinweise darauf, dass sowohl genetische als auch umweltbedingte Ursachen eine Rolle spielen könnten, doch die Daten stammten zumeist aus Tierstudien. Infektionen während der Schwangerschaft sowie die spezifischen Immunreaktionen darauf spielen sehr wahrscheinlich eine Rolle. Dies zeigte auch die vorliegende Studie am Beispiel genitaler Herpesvirus-Infektionen beim Menschen. „Es ist mit Hinblick auf das Autismus-Risiko des Kindes wichtig, Frauen in der Schwangerschaft auf die zumeist symptomlosen Infektionen – wie z. B. eine latente HSV-2-Infektion – zu untersuchen und die Viren gegebenenfalls durch eine geeignete Medikation zu unterdrücken“, so die Autoren als Resumée ihrer Arbeit. Originalpublikation: Maternal Immunoreactivity to Herpes Simplex Virus 2 and Risk of Autism Spectrum Disorder in Male Offspring. Mahic M et al., mSphere, doi: 10.1128/mSphere.00016-17; 2017