Auch wenn in diesem Jahr die Pollen- und Gräser-Allergie früher als sonst mit tränenden Augen, laufenden Nasen und entzündeten Rachen zugeschlagen hat, den Leidenden könnte noch kurzfristig geholfen werden. Ein paar Piekser pro Tag und die Qual könnte schon nach drei Wochen ein Ende haben. Die Zauberformel heißt Kurzzeit-Therapie.
Turbo-Therapie in der Allergologie
Als Vorreiter der Hyposensibilisierung zur Behandlung von Allergien gelten Noon und Freeman. Das Forscherteam spritzte Allergikern erstmals klein geschredderte Pollen. Ihre Therapieergebnisse beschrieben sie 1911 in The Lancet. Sie wussten zwar nicht, warum es funktioniert, aber das Prinzip ansteigender Injektions-Dosen mit äquivalentem Pollenextrakt geht auf ihr Konto zurück. Die Fachwelt spricht inzwischen im Rahmen der Hyposensibilisierung von spezifischer Immuntherapie (SIT). Dabei wird der Verursacher der Allergie - Polle, Katzenhaar, Bienengift & Co - mit dem gleichen nativen Allergen in immer stärkeren Dosen solange torpediert, bis das Immunsystem dieses nicht mehr als "fremd" einstuft. Neben der "klassischen" SIT, die von Patienten wegen der zeitaufwändigen Dosierungssteigerungsphase teilweise abgelehnt wird, gibt es inzwischen modifizierte Kurzzeitschemata. Cluster-, Rush- oder Ultra-Rush-Therapie heißen die neuen Turbo-Methoden, die die lästige Aufdosierungsphase von durchschnittlich zwölf Wochen bis auf eine Woche bzw. wenige Tage komprimieren können.
Nebeneinander von klassischen und modernen Therapien
Die ersten Publikationen zu Kurzzeit-Therapien im Rahmen der SIT erschienen Anfang der Neunziger. Besonders verdient gemacht um die Weiterentwicklung der modifizierten Behandlungsmethode hat sich in Deutschland u.a. das Zentrum für Allergologie und Rhinologie Wiesbaden unter Professor Dr. Ludger Klimek. Seit 2001 werden hier Allergiker sowohl klassisch als auch mit modernen Kurzzeit-Schemata der SIT behandelt. Therapiert werden saisonale (z. B. Baum- und Gräserpollen), perenniale (z. B. Hausstaubmilben, Katzenhaare) sowie Wespen- und Bienengift-Allergien.
Klassische SIT
Um den Unterschied von "klassisch" und "modern" zu verstehen, muss man wissen, dass die SIT grundsätzlich in eine initiale Dosissteigerungsphase und eine anschließende Dosiserhaltungsphase zu unterteilen ist. Das gilt sowohl für die subkutane SCIT als auch für die sublinguale, die SLIT. Bei letzterer ist die klinische Wirksamkeit noch nicht ausreichend nachgewiesen, d.h. die Allergen-Präparate werden heute noch überwiegend injiziert. Beim klassischen Schema dauert dies in der Aufdosierungsphase etwa 10 bis 15 Wochen. In dieser Zeit wird wöchentlich einmal mit ansteigenden Dosierungen gespritzt. Anschließend folgt eine etwa dreijährige Erhaltungsphase mit monatlichen Injektionen. Dieses Schema gilt auch für die Kurzzeit-Therapien mit einem einzigen Unterschied: die Initialphase wird zeitlich stark reduziert. "Das Ziel modifizierter Therapieformen ist, die Dosierungssteigerungsphase abzukürzen und hierdurch in einem möglichst kurzen Zeitraum die maximale Erhaltungsdosis zu erreichen," so der HNO-Facharzt und Allergologe Dr. Oliver Pfaar am Wiesbadener Allergiezentrum.
Moderne Cluster- und Rush-SIT
"Die Kurzzeit-Therapie hat den wichtigen Vorteil der kurzen Dauer - was sich positiv auf die Compliance der Patienten auswirkt - und der Möglichkeit des relativ späten Beginns vor der jeweiligen Pollen-Saison", erklärt Oliver Pfaar. Allerdings bedeutet der Zeitgewinn auch, dass die gleiche Dosis, die normalerweise auf einen Zeitraum von 10 bis 15 Wochen verteilt wird, in kürzesten Abständen injiziert wird. Bei der Cluster-SCIT werden beim ersten Behandlungstermin 3-4 Spritzen gesetzt, danach wird eine Woche pausiert. Die Erfahrung der Wiesbadener zeigt, dass nach 3-4 Wochen die maximale Erhaltungsdosis erreicht ist. Das Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen ist laut Oliver Pfaar nicht höher als bei der konventionellen Aufdosierung. Die Rush-Therapie, primär bei Insektengift eingesetzt, erfolgt ausschließlich stationär. Die Injektionen erfolgen täglich. Die gesamte Dosissteigerungsphase ist auf 3 bis 5 Tage komprimiert und bei der Ultra-Rush-Methode gar auf zwei Tage. Welche Risiken sind damit verbunden? Studien haben gezeigt, so die Experten um Ludger Klimek, dass diese beschleunigten Verfahren gut funktionieren und genau so sicher sind, wie die konventionellen Schemata.
Gut Ding will Weile haben
Während es zur klassischen SIT umfangreiche Studien gibt, die den therapeutischen Erfolg belegen, fehlen zu den Turbo-Therapien hinreichende Erfahrungswerte. Ist das der Grund für die Zurückhaltung bei vielen Allergologen? Professor Dr. Ralph Mösges, Facharzt für HNO, Allergologie und Medizinische Informatik an der Universität Köln, erklärt die geringe Resonanz mit einer eher konservativen Haltung seiner Kollegen. Aus seiner Erfahrung dauert es seine Zeit, bis innovative Verfahren akzeptiert werden. Seine Einschätzung zu den Chancen der Kurzzeit-Therapie: "Die ist sehr erfolgreich, ich denke aber, sie wird gegenüber der SLIT verlieren." Professor Dr. Ludger Klimek ermuntert seine Kollegen mit dem Hinweis: "Die beschleunigten Verfahren der SIT sollen ja die konventionelle Therapie keineswegs ablösen, sondern stellen eine wertvolle Alternative dar, die bei vielen Patienten erfolgreich und sicher angewendet werden kann."