Wenn Schwestern auf Station nicht mehr Pillen stellen, sondern Tütchen verteilen, dann steht im Keller der Klinik meist eine Maschine und packt Medikamente um. In einer gemeinsamen Anstrengung wollen Unternehmen und Klinikapotheker dem Kollegen Pillenroboter jetzt zum Durchbruch verhelfen.
Die Idee ist bestechend: Eine große Zahl der Medikationsfehler in Kliniken passiert bei der Ausgabe der Medikamente. Wenn die Klinikapotheke dagegen die vom Arzt verordneten Medikamente vorher für jeden Patienten einzeln abpackt und die Korrektheit der Prozedur zum Beispiel mit Hilfe von Barcodes oder auch Funkchips (RFID) überprüft, dann sollte diese Fehlerquelle zum Versiegen gebracht werden können.
Vier von fünf Fehlern könnten verhindert werden
"Unit dose-Systeme" nennen sich diese Vorrichtungen, und sie gewinnen zunehmend Anhänger unter den Klinikapothekern. "In internationalen Studien erleidet etwa jeder zwanzigste Patient eine unerwünschte Arzneimittelwirkung", erklärt beispielsweise Privatdozent Dr. Michael Hartmann von der Apotheke der Universität Jena. Mindestens achtzig Prozent der Fehler, die bei der Verabreichung von Medikamenten entstehen, sollten sich vermeiden lassen, wenn die Pillen patientenindividuell verpackt werden. Michael Hartmann testet deswegen in Jena ein RFID-System, bei dem per Funkchip markierte Arzneimittel mit einem weiteren RFID-Chip am Arm des Patienten abgeglichen werden, bevor die Tabletten übergeben werden. Damit werden Verwechslungen ausgeschlossen. Andere Kliniken machen Ähnliches mit Hilfe von simplen Barcodes. Auch das funktioniert.
Die einzelnen Arzneimitteltüten werden bei solchen Systemen in der Klinikapotheke mit Hilfe von Verpackungsrobotern abgepackt. Sie erhalten elektronische Informationen über die ärztlichen Verordnungen und entnehmen dann den Medikamentenblistern oder Ampullenpackungen die entsprechenden Mengen des verordneten Präparats. Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich solche Systeme in den USA, wo die US-Zulassungsbehörde FDA vor einigen Jahren die Daumenschrauben angezogen hat. Mittlerweile soll dort rund jede zehnte Klinik mit Pillenrobotern arbeiten.
Ohne elektronische Verordnung kein Roboter
In Europa ist es um Pioniere wie Hartmann dagegen noch immer ziemlich einsam. Nur einige wenige Kliniken experimentieren mit Unit dose-Systemen. Und die meisten, die es tun, setzen das Verfahren nicht klinikweit, sondern nur auf ausgewählten Stationen ein. Die Gründe dafür, warum die Europäer so zögerlich sind, liegen sowohl in den Kliniken als auch bei Politik und bei der pharmazeutischen Industrie. So ist in den Kliniken ein elektronisches Verordnungswesen Grundvoraussetzung für eine robotergestützte Arzneimittelbereitstellung. Elektronische Verordnungen aber sind längst nicht überall Standard auf den Stationen Mitteleuropas. Das liegt unter anderem daran, dass der politische Druck fehlt. Staatliche Programme zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit, im Rahmen derer in den USA in den letzten Jahren unter anderem sehr viel Geld in die Entwicklung elektronischer Verordnungssoftware gesteckt wurde, stecken in der alten Welt noch in den Kinderschuhen.
Ein vielleicht noch wichtigerer Hemmschuh ist allerdings bei den Arzneimittelherstellern zu suchen. Während bei den in den USA verkauften Tablettenblistern mittlerweile praktisch durchgehend jede einzelne Tablette mit einem Barcode versehen ist, ist das in Europa noch die große Ausnahme. Anders als die FDA, die genug politischen Druck auf die Industrie ausgeübt hat, ist die europäischen Zulassungsbehörde EMEA zu schwach, um die Industrie in diese Richtung zu drängen. Hinzu kommt, dass im föderalen Europa überall andere Anforderungen an die nötigen Barcodes gestellt werden, und dass die Produktionsstätten häufig veraltet sind.
Engagierte Apotheker werden händeringend gesucht
Für die Klinikapotheker ist die fehlende Markierung der Einzeldosierungen das eigentliche Problem. Denn wer unter diesen Bedingungen ein Unit dose-System etablieren will, braucht Barcode-Drucker, um die Pillen selbst zu markieren, bevor sie dann von einem Roboter verarbeitet werden können. Das ist nicht nur unheimlich nervtötend, sondern es kann auch selbst zur Fehlerquelle werden. Um hier endlich voran zu kommen, hat sich die wesentlich industriegetriebene Non profit-Organisation GS1 vor einiger Zeit dem Thema angenommen. Die GS1 ist jene Organisation, die auch die in vielen Branchen weltweit etablierte elektronische Artikelnummer EAN durchgesetzt hat.
Auf einen solchen Standard will man sich auch beim Thema Barcodes im Gesundheitswesen einigen. Vor zwei Jahren wurde dafür eine spezielle Healthcare User Group (HUG) gegründet, die jetzt auch in Deutschland mit einer eigenen Dependance aktiv wird. Entscheidend ist, ob sich neben den Pharmaunternehmen genug Klinikapotheken an der Standardfindung beteiligen. Bisher ist die Resonanz bei den Apothekern allerdings noch nicht so hoch wie erhofft.