Ethik paradox. Das deutsche Embryonenrecht führt bei der in vitro-Fertilisation zu Resultaten, die keinem internationalen Vergleich Stand halten. Im Reagenzglas tobt der Moralkrieg. Dabei steht der Wunsch der betroffenen Eltern nach schneller und sicher Erfüllung des Kinderwunsches erstmal hinten an.
Der Brief, den die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Dachverband für Reproduktionsbiologie und -medizin (DVR) im vergangenen Herbst an die Regierungen der Bundesländer geschrieben haben, war deutlich: Alle Welt schreie nach mehr Kindern, aber die, die etwas gegen die Kinderarmut tun wollten, würden durch das deutsche Recht systematisch ausgebremst, so der Tenor.
Verbot mit Nebenwirkungen
Der Frust der Frauenärzte richtet sich einerseits gegen die letzte Gesundheitsreform, die die Erstattungsfähigkeit der reproduktionsmedizinischen Behandlung stark eingeschränkt hat. Vor allem aber wehren sich die Mediziner gegen das deutsche Embryonenschutzgesetz. Es untersagt nach gängiger Auslegung bei der in vitro-Fertilisation die Erzeugung von mehr als drei Embryonen und die Auswahl von einem oder zwei Embryonen, die schließlich in die Gebärmutter eingebracht werden. Diese Strenge ist Folge des Grundgedankens des Embryonenschutzgesetzes, wonach Embryonen schützenswertes Leben seien und also nicht im Überschuss erzeugt werden dürfen. Nach Auffassung der Reproduktionsmediziner hat diese Rechtslage erhebliche Nebenwirkungen für die Paare mit Kinderwunsch. So sei die Erfolgsquote der IVF in Deutschland im internationalen Vergleich dramatisch niedrig. Mehr noch: Wenn eine Schwangerschaft erreicht wird, dann bekommt das Paar in Deutschland überdurchschnittlich häufig Mehrlinge. "Auf diese Weise wird die Gesundheit der Mutter und der meist zu früh geborenen Mehrlinge erheblich gefährdet", sagte Professor Klaus Diedrich, Reproduktionsmediziner aus Lübeck, auf der letzten Jahrestagung der DGGG. Denn die Komplikationsrate bei Mehrlingsgeburten ist höher, das Sterberisiko der Mutter steigt.
Gesetz zum Schutz vor Drillingen?
Die Zahlen aus Deutschland und anderen Ländern untermauern die Position der DGGG seit Jahren. Die Schwangerschaftsrate bei der in Deutschland praktizierten Übertragung von drei unselektierten Embryonen liegt derzeit bei 28 Prozent. Jede dritte Schwangerschaft ist dabei eine Zwillingsschwangerschaft. Etwa jede vierzigste Entbindung nach IVF ist eine Drillingsgeburt. Andere Länder, in denen häufiger zwei oder auch nur ein einziger Embryo übertragen werden, kommen hier besser weg. Auf bis zu vierzig Prozent ließen sich die Erfolgschancen durch den Einzelembryonentransfer steigern, so Diedrich. Der Anteil der Drillingsgeburten korreliert weitgehend mit der Zahl der übertragenen Embryonen. In Finnland beispielsweise liegt er nur bei 0,2 Prozent. Auch in Belgien konnte die Zahl der Mehrlingsschwangerschaften durch das so genannte "belgische Rückerstattungsmodell" deutlich gesenkt werden. Bei dieser Variante werden die ersten beiden IVF-Versuche bei Frauen unter 37 Jahren mit nur einem Embryo unternommen, alle anderen erhalten zwei Embryonen. Dass durch die Verringerung der Mehrlingsquote auf wenige Prozentpunkte gesparte Geld fließt direkt in die Finanzierung der reproduktionsmedizinischen Verfahren. Bis zu sechs Zyklen pro Paar werden übernommen.
Ideologiedebatten auf Kosten der Paare mit Kinderwunsch
Ob es ethisch zu rechtfertigen ist, deutsche Paare mit dem Hinweis auf den Embryonenschutz vom internationalen Stand der Fortpflanzungsmedizin abzukoppeln, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Indem sie Embryonen schützen, nehmen es die Anhänger des deutschen Embryonenschutzgesetzes billigend in Kauf, dass in einigen Fällen wesentlich menschenähnlichere Feten während der Schwangerschaft gezielt abgetötet werden, um die Mutter nicht zu gefährden. Sie nehmen es in Kauf, dass die neonatologischen Kliniken an Kapazitätsgrenzen stoßen, die die Versorgung anderer Kinder gefährden könnten. Und sie akzeptieren stillschweigend die Schizophrenie, dass Embryonen zwar in den Vorkernstadien eingefroren werden dürfen, nicht aber später, was Deutschland nach außen den Status eines Musterschülers verleiht, der offiziell keinerlei überschüssige Embryonen erzeugt.
Tatsächlich, und das ist das eigentliche ethische Problem, geht es den Gegnern einer Übertragung von Einzelembryonen nicht im Geringsten um die IVF. Was die Embryonenschützer fürchten wie der Teufel das Weihwasser ist eine Diskussion darüber, was mit den IVF-Embryonen geschehen soll, die nicht implantiert werden, kurz: ein Wiederaufflammen der Debatte um die Forschung mit embryonalen Stammzellen, bei der im Angesicht von dann tausenden tiefgekühlten Embryonen die Gegenargumente gegen eine kontrollierte medizinische Forschung knapp werden. So gesehen führen die Embryonenschützer einen ideologischen Stellvertreterkrieg auf Kosten der Paare mit Kinderwunsch.