Die Protonentherapieanlage in Berlin-Wannsee ist eine in Deutschland einzigartige Einrichtung zur wirksamen und gleichzeitig schonenden Behandlung von Augentumoren - und stand Ende vergangenen Jahres faktisch vor dem Aus. Eine neue Kooperation zwischen Hahn-Meitner-Institut (HMI) und Charité sichert nun das Comeback der Therapie.
Die epidemiologische Publikation ist nahezu acht Jahre alt, erlebtjedoch ausgerechnet jetzt womöglich eine Renaissance. Denn die damalsunter Leitung von Andreas Stang durchgeführte und anschließendveröffentlichte Arbeit im Rahmen der Studie "Europäische Verbundstudiezu arbeitsplatzbedingten Erkrankungen (EVA)" gemachte Kernaussage warklar formuliert: "Die altersstandardisierte Inzidenzrate vonprimär-malignen Augentumoren bewegt sich zwischen 0.1 und 1.2 pro 100.000 Personenjahren. Nach dem gegenwärtigen Wissensstand ist für denGroßteil der auftretenden uvealen Melanome die Ursache nicht bekannt.Es existieren bisher nur wenige ätiologische Hypothesen". Fürbetroffenen Patienten keine besonders erbauliche Einschätzung, für diemeisten Ophthalmologen die Gewissheit, dass es noch viel zu erforschengäbe.
Erfreuliche News
Nun vermeldet die Augenheilkunde ganz andere Neuigkeiten. Erstmals wollen die Charité - UniversitätsmedizinBerlin und das ebenso angesehene Hahn-Meitner-Institut Berlin (HMI) demAugenkrebs mit Hilfe einer relativ neuen Technik den Garaus machen: dieProtonentherapie zur Behandlung von Augentumoren hält erneut Einzug imAlltag der Medizin. Es ist das gelungene Comback eines kurzfristigTotgesagten.
Denn was Wissenschaftler seit Jahren für sinnvoll erachtetenerkannten Politiker aus Kostengründen so nicht mehr an, und schlossendas Ionenstrahllabor des Hahn-Meitner-Instituts zum 31. Dezember 2006.Wäre es bei dieser Vorgehensweise geblieben, hätten Augentumorpatientendas böse Nachsehen gehabt - also musste eine elegante Lösung despolitischen faux-pas her.
Die fanden die Verantwortlichen in Form eines neuen Vertrags,der alle Parteien unter einer neuen Struktur zusammenbringt. Der Clou:Die Charité übernimmt jetzt die Medizinphysiker des HMI, ohne die wohlkein Arzt die Augen seiner Krebspatienten mit Hilfe der Anlagebehandeln könnte - weil schon Berechnung der Strahlführung extremkompliziert ist. Im Gegenzug führt das HMI keine eigenenForschungsarbeiten an der Beschleunigeranlage mehr durch. Diese soll inZukunft ausschließlich für die Behandlung von Augentumorpatienten zurVerfügung stehen.
Aus diesem Grund soll in Zukunft auch diebetriebswirtschaftliche Steuerung von der Charité übernommen werden,hierzu zählt auch der Aufbau eines nationalen und internationalenNetzwerkes an Partnerkliniken. Einiges indes bleibt so, wie es war: Wiebisher wird die Augenklinik des Charité Campus Benjamin Franklin diemedizinischen und organisatorischen Aspekte der Behandlungverantworten, während das Hahn-Meitner-Institut den Protonenstrahlbereitstellt. Kunterbuntes Durcheinander der verschiedenen Organe?Tohuwabohu im Organigramm? Für den Berliner Forschungssenator JürgenZöllner sind die Änderungen ein glatter Erfolg: "Die in Deutschlandbislang einzigartige, innovative Tumortherapie wird hier amHMI-Standort Wannsee fortgeführt".
Der Mann hat Recht
Denn für Patienten hierzulande erweistsich das trickreich umgesetzte Coemback der Beschleunigeranlage alswahrer Segen. Geht es nach Willen der Charité, wird die Anlage auchökonomisch ein Erfolg, weil "Patientenkreise im Ausland" auf dieBerliner Therapie setzen könnten. Die Charité - UniversitätsmedizinBerlin setze auf die Erschließung neuer Märkte, auch in Osteuropa,teilen die Berliner mittlerweile selbstbewusst mit. DerVorstandsvorsitzende der Charite, Detlev Ganten, sieht sogar guteChancen für eine internationale Positionierung: "In erster Linie gehtes darum, auch im internationalen Raum bekannt zu machen, dass es ander Charité so ein effizientes therapeutisches Verfahren gibt". AuchMichael Foerster, Leiter der Klinik für Augenheilkunde am CampusBenjamin Franklin und Pionier auf dem Gebiet der Protonentherapie,betont die Vorzüge des Verfahrens: "Neueste Auswertungen belegen, dassdie Heilungserfolge aufgrund unserer langjährigen Erfahrung weltweitgesehen in der Spitzengruppe liegen - ein Qualitätskriterium, das fürPatienten und Krankenkassen immer wichtiger wird"
Rein technisch betrachtet ist das, was jetzt als Durchbruchpropagiert wird, keinesfalls neu. Schon lange wissen Mediziner, dassbei der Protonentherapie Kerne von Wasserstoffatomen mit einemTeilchenbeschleuniger zu einem Strahl gebündelt werden. Der Vorteil derMethode liegt im Detail: Anders als beim Einsatz von Gamma- oderElektronenstrahlen kann man damit sehr zielgenau Tumoren entfernen,ohne das umliegende gesunde Gewebe zu beschädigen. So kann die Sehkrafteines Auges auch dann gerettet werden, wenn sich der Tumor in heiklenBereichen wie in der Nähe des Sehnervs oder der Netzhaut befindet.Überwiegend werden auf diese Weise Aderhautmelanome behandelt, die alsbösartige Tumoren das Augenlicht und Leben des Patienten gefährden.Seit 1998 hat die Charité am Berliner Hahn-Meitner-Institut in Wannseeüber 800 Patienten aus ganz Deutschland sowie dem europäischen Auslandbehandelt. Das Comeback der bewährten Anlage dürfte dieErfolgsstatistik weiter anschwellen lassen.
Die High-Tech Offensive der Berliner kommt keine Minute zuspät - und bekommt womöglich ausgerechnet aus dem pflanzlichen Bereichder Wirkstoffforschung eine sinnvolle Unterstützung. Dersüdamerikanische Lapacho-Baum etwa könnte sich bei Kindern mitRetinoblastom ebenfalls als wirksame Waffe gegen den Krebs erweisen Wasdie Protonenstrahlen in Wannsee schaffen, vermag nämlich der WirkstoffBeta-Lapachon auch, wie Wissenschaftler in Kalifornien jetzt berichten,er hemmt das Wachstum der Krebszellen und tötet diese sogar inniedriger Konzentration zuverlässig ab. Eine Konkurrenz für dieProtonenanlage ist das nicht - der Baum bevorzugt andere klimatischeVerhältnisse als jene in Wannsee.