Graue Anziehsachen, Tarnkappe, Schutz der Dunkelheit. Gestresste Ärzte scheuen keine Tricks, um Opiate aus dem Giftschrank für den eigenen Konsum abzuzweigen. Diesen Eindruck vermittelt zumindest das deutsche Betäubungsmittelrecht. Wir haben bei Dr. Gerhard Lauktien von der Bundesopiumstelle nachgefragt, was das alles soll.
DocCheck: Warum werden Ärzte, die in Deutschland eine vernünftige Schmerztherapie machen wollen, immer noch durch BtM-Rezepte gegängelt?
Lauktien: Von einer "Gängelung" kann heutzutage nicht mehr gesprochen werden: In Deutschland ist das derzeit umsatzstärkste verschreibungspflichtige Arzneimittel ein Betäubungsmittel zur Behandlung von Schmerzpatienten. Zurzeit befinden sich rund 115.000 Ärzte im Besitz gültiger BtM-Rezepte, die von der Bundesopiumstelle ausgegeben werden. Diese Zahl wächst jährlich um rund 5.000. Die früher zweifellos vorhandenen bürokratischen Hemmnisse bei der Verschreibung starker Schmerzmittel sind heute weitestgehend in den Hintergrund getreten.
DocCheck: Muss man die BtM-Gesetzgebung nicht so interpretieren, dass die Politik davon ausgeht, dass jeder Arzt ein verkappter Morphinist ist?
Lauktien: Noch in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden BtM-Rezepte als "Giftrezepte" bezeichnet, weil man die Versorgung von Schmerzpatienten der Vermeidung des Suchtrisikos unterordnete. Der Fortschritt in der medizinischen Wissenschaft und Lehre spiegelt sich in der fortgeschriebenen Gesetzgebung wider: Eine eindeutig ausgefüllte BtM-Verschreibung erfordert heute einen vergleichbaren Aufwand wie das Ausstellen eines normalen Kassenrezeptes.
DocCheck: Auch die strengen Regeln bei der Dokumentation lassen den Eindruck aufkommen, dass Ärzten pauschal Böses unterstellt wird...
Lauktien: Die geltenden Regeln zur Aufbewahrung des Durchschlags der BtM-Verschreibung und der Dokumentationspflicht zum Beispiel des Praxisbedarfs zielen vor allem darauf ab, den therapeutischen Umgang mit hochwirksamen Pharmaka anhand der lückenlosen Dokumentationspflicht qualitätsgesichert zu gestalten. Mit dem gleichen Instrument können aber natürlich auch unerlaubte Abzweigungen präventiv verhindert und gegebenenfalls - in Einzelfällen - nachgewiesen werden.
DocCheck: Warum ist der deutsche Gesetzgeber gegenüber den Ärzten misstrauischer als die legislativen Instanzen in anderen Ländern, wo weit weniger strenge Regeln gelten?
Lauktien: Das ist vielleicht eine Mentalitätsfrage, die nicht nur den Bereich der BtMVV betrifft. Andererseits lassen sich Anzeichen einer Trendwende erkennen, administrative Hürden abzusenken: Im Hinblick auf die einzuführende Gesundheitskarte sollen die zur Zeit noch erhöhten Anforderungen bei BtM-Verschreibungen auf dann elektronischen Rezepten deutlich vereinfacht werden.
DocCheck: Was macht ein Arzt, dem im Notdienst die Opiate ausgehen, wenn er gerade kein BtM-Rezept mehr hat?
Lauktien: In diesen Fällen ist das Verschreiben von Betäubungsmitteln auf einem normalen Rezeptformular möglich, wenn dieses mit dem Vermerk "Notfall-Verschreibung" gekennzeichnet ist.
DocCheck: Er darf sich dann nicht einmal im Vorrat des Kollegen in der Gemeinschaftspraxis bedienen. Halten Sie das nicht für etwas übertrieben?
Lauktien: Zwar muss jeder Arzt in einer Gemeinschaftspraxis eigene BtM-Rezepte verwenden. Eine Übertragung der BtM-Rezepte auf den Kollegen ist aber im Vertretungsfall (zum Beispiel Urlaub, Krankheit) möglich. Bei der Ausfertigung einer Verschreibung ist in diesem Fall der Vermerk "in Vertretung" beziehungsweise "i.V." anzubringen.
DocCheck: Gibt es irgendwelche logischen Kriterien für die Einstufung eines Arzneimittels als "BtM"?
Lauktien: In die Gesamtbewertung eines Arzneimittels für die Einstufung als Betäubungsmittel wird sowohl das stoffbezogene qualitative Risiko als auch das quantitative Ausmaß der Missbrauchshäufigkeit einbezogen, die von nationalen Experten vorgenommen wird. Daneben ist es auf globaler Ebene Aufgabe der WHO, bei Änderungen zum Umfang der der internationalen Kontrolle unterworfenen Stoffe mitzuwirken. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse werden Vereinbarungen zur Missbrauchsprävention vorbereitet, die die Bundesregierung verpflichtet, neue Stoffe in die Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes aufzunehmen.
DocCheck: Die Einstufung einiger Benzodiazepine als BtM erscheint uns vor dem Hintergrund, das beispielsweise Ketamin kein BtM ist, etwas gewagt...
Lauktien: Mehr als 1 Million Deutsche sind von Benzodiazepinen abhängig, sagt eine neue Studie der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen - obwohl sie ärztlich verschrieben werden müssen. Schon die Einstufung der Benzodiazepine als so genannte "ausgenommene Zubereitungen" lässt - bedingt durch die bestehenden Ausnahmeregelungen des BtMG - eine missbräuchliche Anwendung der Benzodiazepine nach nicht-therapiegerechter Verordnung zu. Die Frage der Einstufung Ketamins unter das Betäubungsmittelgesetz wird zur Zeit auch von der Bundesopiumstelle sorgfältig beobachtet.
DocCheck: Wann wurde die Bundesopiumstelle gegründet, und was war der Anlass?
Lauktien: Auf der Grundlage des Versailler Vertrags wurde das Deutsche Reich verpflichtet, das internationale Opium-Abkommen (Haager Abkommen) anzuerkennen und in nationales Recht umzusetzen. Mit Beginn der staatlichen Kontrolle des BtM-Verkehrs wurde 1924 eine Opiumabteilung im damaligen Reichsgesundheitsamt errichtet, aus der später die Bundesopiumstelle wurde.
DocCheck: Wie wird man Mitarbeiter der Bundesopiumstelle?Lauktien: Bedingt durch den Umzug aus Berlin im Jahre 1999 und der damit verbundenen Rekrutierung eines Teils von Mitarbeitern aus Tauschbehörden bringen die Kolleginnen und Kollegen der Bundesopiumstelle neben der notwendigen fachlichen Expertise ein breites Spektrum an beruflicher Erfahrung in die Bundesopiumstelle ein. Diese Vielfalt stärkt den interdisziplinären Dialog, um die bestmögliche Versorgung der Menschen mit Betäubungsmitteln sicherzustellen und deren missbräuchliche Verwendung zu verhindern.