Auch nach zwanzig Jahren leidet die autologe Knorpelzelltransplantation noch immer unter einem eklatanten Studienmangel. Doch Daten oder nicht, die alte Technik wird jetzt ohnehin verlassen. Biomediziner erschließen neue Zellquellen und erfinden trickreiche Trägersubstanzen auf dem Weg zu einem neuen Traum in hyalin.
Er darf das sagen, denn er ist einer der Väter des Verfahrens: Dr. MatsBrittberg von der Universität Göteborg ist mit der Situation bei derautologen Knorpelzelltransplantation (ACT) rund zwanzig Jahre nachihrer ersten Anwendung durchaus unzufrieden: "Es gibt noch immer kaumgute randomisiert-kontrollierte Studien", so Brittberg auf dem Kongress der deutschen Orthopäden undUnfallchirurgen in Berlin. Für ihn ist die ACT bei Knorpelschädendeswegen weiterhin die Methode der zweiten Wahl, wenn andere Technikenversagen. Was nicht heißt, dass er nicht von ihren Erfolgen überzeugtwäre: "Bei 95 Prozent der Kniegelenkspatienten verbessern sichBeschwerden und Funktion langfristig", schätzt der Experte und beziehtsich dabei auf eine eigene Patientenkohorte, die er mittlerweile überzehn Jahre lang verfolgt.
ACT reloaded: Operateure tauchen ein in die Matrix
Doch die autologe Knorpelzelltransplantation hat ihre Schwächen. Beidem Verfahren werden bei einem verletzungsbedingten oder degenerativenKnorpeldefekt körpereigene Knorpelzellen an anderer Stelle entnommen,im Labor kultiviert und schließlich in das defekte Knorpelarealreimplantiert. Weil das, was da eingesetzt wird, ziemlich flüssig ist,kommt oben drauf noch ein Periostlappen, der so vernäht werden muss,dass nichts rausläuft. "Der Nachteil dabei ist zum einen, dass einelangstreckige Arthrotomie nötig ist", sagte Dr. Christoph Gaissmaiervon der Unfallklinik Tübingen. Noch problematischer:Bei einem nicht unwesentlichen Anteil der Patienten tritt eineHypertrophie des Transplantats auf, die ihrerseits Gelenkbeschwerdenverursachen kann. "Sie geht wahrscheinlich von der Periostkomponenteaus", so Gaissmaier in Berlin. Die Tübinger setzen deswegen auf eineModifikation der ACT, die ohne Periost auskommt, auf die Matrixtechnik.Bei dieser ACT-Variante werden die entnommenen und kultiviertenKnorpelzellen in eine Matrix aus Chondroitinsulfat und Kollageneneingebettet. Außen rum befindet sich eine stabile Membran, ebenfall ausKollagen. Der Vorteil: Das Ganze läuft nicht aus. Eine wasserdichteNaht mit Periostcouverture ist nicht mehr erforderlich. Unter anderemdeswegen kann sehr viel minimalinvasiver vorgegangen werden. Diebisherigen Erfahrungen von Gaissmaier und seinen Kollegen sind nichtschlecht: Nur bei etwas mehr als einem Prozent der Patienten tritt eineHypertrophie des Transplantats auf. Nach alter Methode sind es zehn-bis zwanzigmal mehr.
Adulte Stammzellen produzieren überwiegend Schrottknorpel
Unerwünschte Gewebereaktionen sind nicht das einzige Problem derautologen Knorpelzelltransplantation. Auch die Gewinnung der Zellen istnicht ideal gelöst. Denn immerhin wird dazu in aller Regel intakterKnorpel lädiert. Dem Heranzüchten in vitro sind zudem Grenzen gesetzt:Knorpelzellen lassen sich nicht unbegrenzt vermehren. Das ist insofernproblematisch, als Experten wie Brittberg immer wieder darauf hinweisen,dass die von ihnen beschriebenen, guten Ergebnisse nur dann erreichtwerden, wenn große Zellzahlen eingesetzt werden und dieZellkonzentration in der Suspension sehr hoch ist. Schön wäre es also,wenn es gelänge, Knorpelzellen anderweitig herzubekommen. Der imbiomedizinischen Diskurs geübte ruft an dieser Stelle fast reflexartignach der adulten Stammzelle . Hyaliner Knorpel per venöser Blutentnahme,das ist so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau der Knorpologie. ImPrinzip funktioniert das auch. Durch Stimulation mit demWachstumsfaktor TGF beta kann beispielsweise Professor Wiltrud Richtervon der der Universität Heidelberg mesenchymaleStammzellen quasi auf Knopfdruck in Chondrozyten verwandeln. So weit sogut, aber Chondrozyt ist noch längst nicht gleich hyaliner Knorpel, wieRichter unter anderem mittels Genexpressionsanalysen nachweisen konnte."Mit den gängigen Stammzellprotokollen entstehen Chrondrozyten , diesich in Richtung eines hypertropher Ersatzknorpels entwickeln", soRichter, "da läuft irgendetwas anders als in der Natur". Etwas näherdran an der Natur zeigt sich dann auch, was da anders läuft:Implantierten die Wissenschaftler ihre Stammzellchondrozyten bei einemMausmodell, dann entstand kein glatter Gelenkknorpel sonder etwas, daseher an eine Arthrose erinnerte. Schrottknorpel eben.
Reinkarnation für verbrauchte Gelenke
Das heißt natürlich nicht, dass Arthroseknorpel zu gar nichts gut ist.Ebenfalls aus Tübingen erreicht uns nämlich die Meldung, dassKnorpelzellen, die aus einem für eine Totalendoprothese entferntenGelenk mit Arthrose gewonnen wurden, durchaus geeignet sind, ihrerseitsdie Saat für eine autologe Knorpelzelltransplantation zu liefern.Anders als bei den TGF beta-stimulierten Stammzellen unterschied sichdie gewonnene Suspension am Ende nicht von der, die entsteht, wennintakter Knorpel als Zellspender eingesetzt wird. Dr. Dirk Albrecht vonder Unfallklinik Tübingen konnte bisher bei 13 Patienten nachweisen,dass auch in vivo brauchbarer Ersatzknorpel entsteht. Da sage nocheiner, Kranksein sei zu nichts nütze.