Gesetzliche Krankenversicherungen machen ihre Patienten kränker als sie sind, damit Gelder vom Risikostrukturausgleich fließen. Diese Tatsache sorgte im letzten Jahr für Schlagzeilen. Jetzt unterbindet der Gesetzgeber alle „Upcodings“.
Für 80 besonders kostenintensive chronische Krankheiten existieren im Risikostrukturausgleich feste Pauschalen. Dieser Geldtopf lockt auch Krankenversicherungen. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fand TK-Chef Jens Baas deutliche Worte: „Aus einem leichten Bluthochdruck wird ein schwerer. Aus einer depressiven Stimmung eine echte Depression, das bringt 1.000 Euro mehr im Jahr pro Fall.“ Kassen versuchten Ärzte dazu zu bringen, für die Patienten möglichst viele Diagnosen zu dokumentieren. „Prämien von zehn Euro je Fall für Ärzte, wenn sie den Patienten auf dem Papier kränker machen“, sind attraktive Sonderzulagen für die Kassen, so Baas. „Sie bitten dabei um ,Optimierung‘ der Codierung. Manche Kassen besuchen die Ärzte dazu persönlich, manche rufen an.“
Um einen Einzelfall handelt es sich dabei definitiv nicht. Im November 2016 gelang es der AOK Rheinland/Hamburg, ein Gerichtsverfahren wegen eben solcher Falschkodierungen gerade noch zu vermeiden (AZ: L 5 KR 219/15 KL). Vorstandschef Günter Wältermann war bereit, sieben Millionen Euro an das Bundesversicherungsamt zu überweisen. Er bestreitet allerdings, dass es der AOK darum gegangen sei, Patienten „kränker zu machen, als sie sind“.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ist schon lange klar, dass es ohne staatliche Regelungen keine Lösung geben wird. Jetzt nutzte er sein „Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung“, um dem „Upcoding“ Einhalt zu gebieten. Man wolle „[...]der Einflussnahme auf Arzt-Diagnosen, mit dem Ziel mehr Mittel aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten, einen Riegel vorschieben“, erklärt Gröhe in Berlin. Der Bestandsschutz bei Betreuungsstrukturverträgen wird stark eingeschränkt. Dazu sagt Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes: „Die Betreuungsstrukturverträge leisten keinerlei Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung. Trotzdem haben die Krankenkassen jedes Jahr hunderte Millionen Euro investiert. Wir kritisieren dies bereits seit langem. Wir begrüßen es daher ausdrücklich, dass der Gesetzgeber dieser Praxis jetzt einen Riegel vorgeschoben hat, denn dieses Geld wird dringend an anderer Stelle gebraucht.“
Gleichzeitig verbietet der Bundesgesundheitsminister die zusätzliche Vergütung für Diagnosen in Gesamt- und Selektivverträgen, die nachträgliche Diagnoseübermittlung bei Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfungen sowie die Kodierberatung durch gesetzliche Krankenversicherungen. Dem Bundesversicherungsamt überträgt Gröhe mehr Prüfmöglichkeiten.