Pünktlich zu Beginn der Grippezeit melden britische Wissenschaftler einen sensationellen Erfolg: In Zukunft könnten so genannte protektive Viren jeglichem Influenzaerreger den Garaus machen. Sogar Pandemien ließen sich auf diese Weise vermeiden.
Was Nigel Dimmock nach 20 Jahren Forschungsarbeit zu verkünden hat,gleicht einer Sensation. Der an der University of Warwick lehrendeProfessor konnte erstmals im Tierversuch nachweisen, dass sichInfluenzaviren unmittelbar nach dem Befall des Wirtsorganismus zu einemsofort wirksamen Vakzin umwandeln lassen. Dieses aktiviert daskörpereigene Immunsystem des Infizierten - die weitere Ausbreitung derErreger wird verhindert.
Dimmock verabreichte seinen Patienten eine mit protektivenViren angereicherte Lösung. Bei diesen Viren handelt es sich umnatürlich vorkommende Influenza-Erreger, die allerdings auf Grundspontan eintretender Mutationen einen großen Teil ihrer genetischenInformationen eingebüßt haben. Im Grunde genetisch tot, enthalten sieaber immer noch einige wichtige Informationen, die Dimmock und seinTeam zu nutzen wussten.
Die Viren verfügen nämlich über eine ähnliche RNA wie die aktivenInfluenzaerreger, erwiesen sich aber im Vergleich zu den infektivenPendants als harmlos, da sie sich weder im Körper der Tiere vermehrennoch irgendeinen anderen Schaden anrichten konnte. Erst wennherkömmliche Grippeviren den Wirtsorganismus in Besitz nehmen, werdendie Sonderlinge aktiviert.
Was dann geschieht, ist erstaunlich. Der geringste Kontakt zu einem"echten" Influenzavirus setzt offenbar einen genetischen Mechanismus inGang: Die Protektoren scheinen über noch nicht genau verstandeneSignalketten die Replikation der Grippeviren zu verlangsamen."Protektive Viren erweisen sich als potente antivirale Mittel", erklärtDimmock. Das ist aber noch nicht alles. Tatsächlich lähmen dieProtektoren nicht nur die Replikation der Influenza-Erreger, sondernfangen auch noch an, sich plötzlich selbst zu vermehren. Blitzartigumgeben die nach wie vor harmlosen Mini-Wächter die eintretendenInvasoren - und wandeln diese gleichfalls in ein Vakzin um.
Befall in Zeitlupe
Indem protektive Viren die Influenza-Viren an einerschnellen Replikation hindern, gewinnt der Körper wertvolle Zeit - dasImmunsystem lernt die eingedrungenen pathogenen Viren in Ruhe kennenund produziert schließlich die nötigen Antikörper in ausreichenderZahl. Sofern Protektoren vorhanden sind, gleicht der Prozess einerInfektion in Zeitlupe. Als molekulare Erkennungsmarken dienen ihnen dieeindringenden, pathogenen Invasoren.
Das Vakzin in Echtzeit scheint in greifbare Nähe zu rücken. "Wir gehendavon aus, dass unsere natürlichen Protektoren gegen alle Typen derInfluenza A geeignet sind", sagt Dimmock. Der Forscher rechnet damit,dass sich auf diese Weise sogar Pandemien vermeiden ließen, weilprotektive Viren im Vergleich zum herkömmlichen Vakzin ihren Gegnernicht vorher "kennen" müssen - es genügt der erstmalige Kontakt imKörper des Infizierten, um sie in Gang zu setzen.
Als ob das allein nicht spektakulär genug wäre, wartet dasTeam um Dimmock mit einer weiteren Stärke der Protektoren auf. ImLaborversuch wirken sie auch 24 Stunden nach einer Influenza-Infektion.Im Tierversuch waren die protektiven Viren über einen Zeitraum voninsgesamt sechs Wochen aktiv. Selbst auf den unangenehmen Stich in denArm könnten Patienten eines Tages verzichten, wenn sich Dimmocks Visionerfüllt: "Protektive Viren lassen sich in naher Zukunft vermutlichsogar als Nasenspray verabreichen".