Das Abkommen ist zwar einen Monat alt, gilt aber nach wie vor als Sensation. Erstmals in ihrer Geschichte unterzeichnete die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) eine Kooperation mit der BKK Gesundheit, die einer jungen Technologie zum Durchbruch verhelfen könnte: der Telesonografie.
Durch die Kooperation können bei derBKK versicherte Schwangere ab der 22. Wochedie Telesonografie nutzen. Ein Novum. Denn bisher waren gut ausgerüstete Pränatalzentren dieeinzigen Orte, an denen sich Frauen eine weiterführende Diagnostikunterziehen konnten, wenn es um den Ausschluss einer Fehlbildung beimNachwuchs ging. Gerade für angehende Mütter aus dem ländlichen Raumeine wenig attraktive Option - die Zentren gelten oftmals als anonym,zudem empfinden viele Patientinnen das Fehlen des vertrauten,niedergelassenen Gynäkologen oder der Gynäkologin als Belastung.
Das Projekt Telesonografie könnte diese unangenehmenBegleiterscheinungen einer Schwangerschaft beheben. Der Clou: Derniedergelassene Frauenarzt bekommt Unterstützung von einemUltraschall-Experten des Bereichs Pränatalmedizin der Frauenklinik derMHH - via Datenleitung. Die Live-Schaltung erfolgt über Webcam undeiner speziellen Übertragungstechnik. Der Nachwuchs im Bauch der Muttergerät auf diese Weise ins Visier gleich zweier Fachleute.
Die Paralleldiagnose aus der niedersächsischen Landeshauptstadtentlastet zudem die Niedergelassenen im ländlichen Raum, und schon vorallem deren Budget. Denn die aufwändige Ultraschalltechnik der MHHkönnte sich kaum ein niedergelassener "Gyn" leisten - die Kooperationzwischen den Kollegen dient allen Beteiligten. Rund 200 Patientinnenwerden in den kommenden 12 Monaten vom telemedizinischen Support derMHH profitieren, zu vorher festgelegten, festen Sprechzeiten derHannoveraner Kliniker. Selbst Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zeigt sichbegeistert, und lobte unlängst in einem Grußwort das Potenzial desProjektes, die Schwangerschaftsvorsorge nachhaltig zu verbessern.
Neues Projekt, ruhmreiche Vergangenheit
Ganz neu ist die Idee indes nicht. Schon im Juni 1997 spielte dieUniversitätsklinik Ulm Ultraschall-Bilddaten im DICOM 3.0-Format aufdas Digitale Netzwerk der Radiologischen Universitätsklinik ein. DieBits and Bytes konnten damals nur auf den Workstations der Abteilungenoder von angeschlossenen externen Teilnehmern via ISDN oder Internetabgerufen werden. Aber der Grundstein der Telesonografie in Zeiten desInternet war gelegt: es ging um den elektronische Transfer vondigitalen sonografischen Daten an beliebige Orte. Dass dieAufenthaltsorte des Patienten und der hinzugezogenen externen Expertennicht identisch sein mussten, erkannten die Ulmer schon damals - aberwaren mit dieser Erkenntnis keinesfalls die ersten Mediziner.
Wer die Wurzeln der Telesonografie sucht, muss nämlich eine Zeitreisein die Vergangenheit absolvieren. Zwar gab es am Anfang der Technologienoch nicht einmal Ultraschallgeräte. Dafür aber hatten die erstenTelefone das Licht der Welt erblickt - und die brachten findige Ärzteauf eine geniale Idee. Warum sollte man die Herz- und Lungengeräuscheder Patienten nicht via Telefonleitung an andere Kollegen übermitteln?Derart angeregt, begann der Erfinder des EKG, Willem Einthoven, imJahr 1906 mit den ersten Versuchen zu Ferndiagnosen über das damalsalles andere als geräuscharme Telefonnetz. Inwieweit Patienten infolgeder brüchigen Leitungen ungewollt, aber irgendwie im Dienste derWissenschaft dahinschieden, bleibt bis heute unbekannt. Aber die Ideebahnte sich ihren Weg, und mit Beginn der 1970er Jahre startete die Ärader etablierten Telemedizin. Vor rund 15 Jahren schließlich erkanntenauch Gesundheitsökonomen das Potenzial der Diagnose aus derDatenleitung. Der Durchbruch des Internet und eine effektiveBreitbandtechnologie trugen zum Erfolg bei.
So betrachtet ist das jetzt in Hannover vorgestellte ProjektTelesonografie für Schwangere neu und könnte bundesweit Schule machen.Einerseits. Andererseits wird das Vorhaben lediglich ein weitererMeilenstein auf dem Weg zur Rundum-Diagnose aus der Datenleitung sein.