Homöopathische Arzneimittel werden immer beliebter. Der Trend lässt Kritiker und Befürworter die Zähne fletschen. Auch Wissenschaftler interessieren sich zunehmend für die "Globuli". Wir sagen Ihnen, wer was wann einsetzt und warum.
Schon die Namen der Medikamente lassen bei manchem die Haare zu Bergestehen: Acetum phosphoricum oder Arsenicum album. So haben sichPharmazeuten vielleicht vor zweihundert Jahren unterhalten, aber heute?Doch der Wind des Zeitgeistes weht aus genau dieser Richtung.Homöopathische Präparate erzielen Absatzrekorde. Immer mehr Apothekerund Ärzte springen auf den Zug auf. Und urplötzlich wird in derPharmazie wieder Latein gesprochen.
Nur sieben Bestseller unter tausend Substanzen
Welche Präparate am häufigsten über den Tresen gehen, hat eine Arbeitsgruppe um Dr. Claudia Witt vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomieder Charité Berlin untersucht. Die Daten entstammen einer Kohorte vonfast viertausend homöopathisch behandelten Patienten, die dieWissenschaftler mittlerweile seit sieben Jahren verfolgen. "VierzigProzent der eingesetzten Homöopathika bestehen aus nur siebenArzneimitteln", sagte Witt auf einem halbtägigen Symposium in Berlin,das sich mit dem Thema Homöopathie wissenschaftlich und klinischauseinandersetzte. Unter den übrigen sechzig Prozent tummeln sich danninsgesamt 600 verschiedene Wirkstoffe. Das ist insofern etwaserstaunlich, als Homöopathiebefürworter oft die enorme Fülle von übertausend homöopathischen Wirkstoffen hervorheben, die ganz individuelleingesetzt würden. Tatsächlich erhalten die meisten homöopathischbehandelten Menschen die sieben Wirkstoffe Sepia, Sulfur,Natrium-muriaticum, Lycopodium, Pulsatilla, Carcinosinum undPhosphorus.
Die mit Abstand wichtigste Indikation, bei der Homöopathika zumEinsatz kommen, ist bei Frauen der Kopfschmerz. Immerhin zwanzigProzent aller Homöopathieverordnungen in der Berliner Untersuchungentfielen auf diese Indikation. Bei Männern sind die allergische Rhinitis und, man staune, der arterielle Hypertonusmit je zehn Prozent die Spitzenreiter. Bei Kindern beiderleiGeschlechts dominiert mit je einem Fünftel weniger überraschend dieatopische Dermatitis. "Patienten, die sich für eine Behandlung mitHomöopathie entscheiden, sind im Mittel jünger und besser ausgebildet",berichtete Witt über ein weiteres Ergebnis ihrer Erhebung. Auch sindFrauen deutlich affiner gegenüber den Globuli als Männer. Zumindest inder Berliner Untersuchung wurde die Homöopathie praktisch nie zurBehandlung akuter Erkrankungen eingesetzt: 99 Prozent der Probandenhatten chronische Beschwerden, im Mittel schon über einen Zeitraum vonneun Jahren.
Am wissenschaftlichen Backup haperts noch kräftig
"Randomisierte, placebokontrollierte klinische Studien zurHomöopathie sind weiter sehr dünn gesät", sagte Dr. Henning Albrechtvon der Karl und Veronika Carstens-Stiftung,einer der größten Forschungseinrichtungen zur Komplementärmedizin inEuropa. Pro Jahr würden derzeit weltweit etwa zehn derartigeUntersuchungen gemacht, die sich aber nur teilweise mit der klassischenHomöopathie beschäftigen. Viele Studien untersuchen auchKomplexhomöopathika, in denen diverse homöopathische Substanzenenthalten sind, oder die Isopathie ("Gleiches mit Gleichem"), "beideskeine Homöopathie im engen Sinne", wie Albrecht betonte. Die Vielfaltder Strategien und Indikationen macht Metaanalysen zur Wirksamkeit derHomöopathie nach Ansicht von Albrecht derzeit sehr problematisch. Erverwies unter anderem auf die im vergangenen Jahr publizierte, sehrkontroverse Metaanalyseaus der Zeitschrift The Lancet, bei der die Homöopathie als unwirksameingestuft wurde. Das Magazin rief aus Anlaß dieser Studie auf seinemTitelblatt das Ende der Homöopathie aus. Witt wies darauf hin, dass dasStudienergebnis anders ausgefallen wäre, wenn für die Ermittlung derOdds Ratio nicht die acht, sondern die 15 größten Studien genommenworden wären. Ein wenig Willkür scheint also im Spiel zu sein.
Zumindest kein Millionengrab...
Kann man und wird man über die Wirksamkeit der Homöopathie aufabsehbare Zeit wohl kontroverser Meinung bleiben, so kann Claudia Wittzumindest von finanzieller Seite vorläufig Entwarnung geben. Den oftgehörten Vorwurf, die Homöopathie sei ein Grab für Gelder, die besseranderweitig eingesetzt werden sollten, konnte eine im Auftrag derKrankenkassen durchgeführte Untersuchungjedenfalls nicht bestätigen. Insgesamt 500 Patienten erhielten indieser Studie entweder eine homöpathische oder eine konventionelleTherapie. Die Indikationen waren Rückenschmerz, Kopfschmerz undAllergien. Nach Adjustierung für die unterschiedliche Altersverteilungergab sich in den Gesamtbehandlungskosten nach zwölf Monaten keinUnterschied zwischen beiden Gruppen: "Bei den homöopathisch behandeltenPatienten wurden deutlich weniger andere Medikamente eingesetzt", soWitt zu der Hauptursache dieses Befunds.