Die einen verteufeln sie, für andere ist sie der Schlüssel zum Rauchstopp: die E-Zigarette. Wer hat Recht?
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Zusammenfassung:
Pneumologen vs. Suchtmediziner, Pharmaindustrie vs. Tabaklobby, sie alle streiten sich um ein Thema: die E-Zigarette. Während die einen sie verteufeln, ist sie für die anderen ein wichtiges Hilfsmittel bei der Rauchentwöhnung. Viele Fachgesellschaften vertreten derzeit noch das Quit-or-die-Prinzip, doch Prof. Martin Storck hält das für den falschen Ansatz. Eine Nikotinsucht lässt sich nicht so einfach überwinden, doch mittels E-Zigarette ist eine risikoärmere Harm Reduction möglich, meint der Experte. Mehr dazu erfahrt ihr im Video!
Transkript des Interviews mit Prof. Dr. Martin Storck zum Thema: E-Zigarette. Es handelt sich um eine 1:1-Abschrift des Gesprochenen im Video.
DocCheck: Was genau ist die E-Zigarette eigentlich und wie genau unterscheidet sie sich von herkömmlichen Zigaretten oder auch anderen Tabakverbrennern?
Prof. Martin Storck: Also E-Zigaretten, um es kurz zu sagen, haben nach vielen wissenschaftlichen Analysen über 90 % weniger Schadstoffe in ihrem Dampf. Man spricht hier gar nicht von Rauch, muss also Dampfen sagen, oder Vaping heißt das ja auch. Das ist also gar kein Rauchen, während Zigarettenrauchen Inhalation von giftigem Tabakrauch ist. Und ich glaube, da ist der Hauptunterschied zu sehen. Und da kann man immer wieder nur hinweisen, dass das also im Grunde genommen eine Nikotinsubstitution ist, auf eine deutlich weniger schädliche Art und Weise, wenn auch nicht komplett unschädlich und auch nicht irgendwie gesund. Das darf man also nicht behaupten.
DocCheck: Schädlichkeit haben Sie jetzt schon angesprochen. Direkt die Anschlussfrage: Wie schädlich ist die E-Zigarette im Vergleich zur herkömmlichen Zigarette oder zu Tabakerhitzen tatsächlich?
Storck: Das ist nämlich genau die Gretchenfrage, die eigentlich niemand richtig beantworten kann. Wir haben also weltweit inzwischen 50 bis 70 Millionen Nutzer von E-Zigaretten. Es rauchen in Deutschland inzwischen laut Debra-Studie 35 % der Menschen über 16 Jahre Zigaretten, während E-Zigaretten insgesamt nur in circa 5 % überhaupt verwendet werden. Das ist also gar nicht so verbreitet, nimmt aber weltweit zu. Der Schaden ist natürlich, das sagen auch viele Kritiker der E-Zigarette, Pneumologen und die vielen kardiovaskulären Fachgesellschaften: Solange wir nicht Langzeitschäden bewerten können, wollen wir uns überhaupt nicht dazu durchringen, die E-Zigarette zur Rauchentwöhnung zu empfehlen.
Das ist natürlich so ein bisschen das Problem, ethisch. Quit or die, also entweder hörst du ganz auf, zu rauchen oder du rauchst eben weiter, während die E-Zigarette ein Angebot darstellt, übrigens neben vielen anderen Methoden wie zum Beispiel medikamentöser Therapie, Nikotinpflaster, Kaugummis und natürlich der Gesprächs- und Motivationstherapie, die leider in Deutschland flächendeckend ja immer noch nicht bezahlt wird und deswegen auch nicht durchgeführt wird. Man muss also sagen, dass der Schaden, der durch E-Zigaretten entsteht, doch vergleichsweise – nach heutiger Kenntnis – gering ist.
Es gibt da verschiedene Arten, wie man das wissenschaftlich untersucht. Entweder macht man Zellkultur-Experimente, da werden dann hochkonzentrierte Dämpfe auf Lungenendothelien, also auf Pneumozyten, behaucht und da wird gesagt, da entstehen dann irgendwelche Reaktionen und Zellen gehen unter. Das entspricht natürlich nicht so richtig der Realität. Während andere sagen: Im Vergleich zum Zigarettenrauchen ist bereits nach Monaten eine verbesserte Lungenfunktion messbar und die ganzen Mannitol-Belastungstests, das hat auch Herr Rüther übrigens in Großhadern selber beforscht.
Also mit Pneumologen und Suchtmedizinern in Kooperation, es bessert sich. Das heißt, es ist zumindest keine Verschlechterung zu erkennen, wenn man auf die E-Zigarette wechselt. Und es ist auch nicht bewiesen, dass die Zahl der Infarkte zunimmt. Die wichtigste Studie, die es dazu gab, musste sogar aus methodischen Gründen im JAMA wieder zurückgezogen werden. Das war sogar ein kleiner wissenschaftlicher Skandal.
DocCheck: Da scheint es jetzt also Argumente in beide Richtungen zu geben, pro und contra Empfehlung. Können Sie sich konkret festlegen und was würden Sie sagen – kann man die E-Zigarette zur Rauchentwöhnung empfehlen oder eher nicht?
Storck: Also das ist ja der Standpunkt, den ja nicht nur ich vertrete, sondern alle diejenigen, die sagen Harm Reduction, so heißt es auf Neudeutsch, ist eine Methode der Schadensbegrenzung, wenn andere Verfahren der Rauchentwöhnung nicht funktionieren. Sie müssen sich vorstellen, in Deutschland wollen überhaupt aktiv nur 8 % der Menschen aufhören, zu rauchen und schaffen es meistens nicht. Das ist sehr frustrierend, wenn man dann wieder einen Relaps hat und das Angebot, denen dann die E-Zigarette zu geben, auch den anderen Rauchern, dass man die nicht alleine lässt und sagt: Also wir wollen die E-Zigarette eigentlich nicht empfehlen, wir geben Ihnen vielleicht paar Tabletten und Pflaster und versuchen eine Gesprächstherapie.
Das funktioniert nicht und deswegen gehöre ich zu der Fraktion, die sagt: Natürlich, das haben wir auch im Deutschen Ärzteblatt diskutiert mit Pneumologen in einem Pro-Contra kürzlich. Ich gehöre zu denen, die sagen: Die E-Zigarette ist eines der Mittel, die auch angeboten werden müssen, wenn es nicht anders gelingt, eine Rauchentwöhnung zu realisieren. Und der Schaden entsteht eben durch den Rauch und nicht durch das Nikotin.
In Klammern: Es gibt inzwischen über 7.000 Aromen und diese Aromen sind zum Teil durch die Erhitzung auch nicht ungefährlich. Man muss die Diskussion eigentlich mehr in Richtung Aromen lenken und auch das Gepansche, was wir da hatten in den USA, dieses EVALI-Syndrom, wo die Leute dann, sogar junge Menschen, gestorben sind, weil da Cannabis oder Cannabitol zugemischt wurde, das ist natürlich eine Sache, das darf nicht sein. Da findet leider überhaupt keine Regulierung oder Kontrolle statt, was da an Liquids verkauft wird. Also wir müssen die Diskussion auch trennen zwischen der E-Zigarette, den verwendeten Aromen, dem Nikotingehalt. Das sind sehr komplizierte Sachen.
DocCheck: Nun gibt es ja auch Misch-Konsum. Menschen, die also die reguläre Zigarette rauchen und E-Zigarette zusätzlich, weil sie zum Beispiel auch den Geschmack mögen. Sie haben die Aromen schon angesprochen. Wie sehen Sie da die gesundheitliche Gefährdung?
Storck: Was Sie jetzt ansprechen, das ist das sogenannte Thema Dual Use. Und das ist auch eins, was die Kritiker der E-Zigarette immer ins Feld führen und sagen: Ja, die Leute rauchen ja die E-Zigarette zusätzlich und hören gar nicht wirklich auf, zu rauchen. Da gibt es also unterschiedliche Daten dazu. Es gibt auch so Länder wie zum Beispiel Südkorea, wo als Land das Rauchverhalten erfasst wurde, volkswirtschaftssozialmedizinisch sozusagen. Und man kann nur sagen, dass diejenigen, die Dual Use verwenden, also wenn die Zahl der Zigaretten, die pro Tag geraucht wird, dann auf drei reduziert wird, ist das zunächst auch ein Teilerfolg. Es ist natürlich nicht das, was wir anstreben, aber es ist keineswegs so, dass Dual Use schlechter ist, als weiter zu rauchen, sondern man muss das so sehen: Weiterrauchen ist am schlechtesten, E-Zigarette ist in dem Spektrum und Aufhören ist das Beste. E Zigarette kommt dann auch schon nah dran und Dual Use ist so Mitte und dazwischen. Aber es ist auf jeden Fall auch ein Fortschritt und man kann nur hoffen, dass der Zigarettenkonsum nach wie vor weiter runtergefahren wird und das Interesse an Zigaretten dann irgendwann nachlässt. Das Problem ist das Verständnis, also die kognitive Erkenntnis, das nennt man kognitive Dissoziation, also wenn jemand weiß, Rauchen ist schädlich, raucht er trotzdem weiter und die E-Zigarette könnte ihn aber da wegbringen, weil man dort eben auch Nikotin zuführt, übrigens auch bei Tabakerhitzern.
Und die schnelle Nikotinzufuhr, die führt ja zur Belohnung in einem Kern, dem Nucleus accumbens. Und wenn also jetzt zu wenig Nikotin in diesen Clustern schnell anflutet, dann ist das eben nicht der gleiche Kick, der bei jahrzehntelangen Rauchern erforderlich ist, um eine schnelle Nikotinanflutung zu bekommen. Und das ist mit der E Zigarette möglich. Insofern kann man das Suchtverhalten mit der E-Zigarette bedienen und dann allmählich den Nikotingehalt reduzieren. Also die Suchtforscher sind auch der Meinung, das mit der E-Zigarette, natürlich ist das Suchtverhalten. Eine Sucht kann man nicht einfach loswerden. Also wenn man im jugendlichen Alter anfängt, vor 18 Jahren Nikotin zuzuführen, da wird man nikotinsüchtig und das kriegt man möglicherweise lebenslang nicht mehr weg. Aber den Zigarettenkonsum, den kann man loswerden und da hilft die E-Zigarette schon. Auch Dual Use ist ein Weg, aber natürlich nicht der optimale.
DocCheck: Angesichts dieser doch widersprüchlichen Studienlage, wie können Ärzte Patienten beraten, die konkret nach der E-Zigarette als Mittel zur Rauchentwöhnung fragen?
Storck: Die erste wichtige Mitteilung ist, dass die E-Zigarette keineswegs gefährlicher oder gleich gefährlich ist wie die Zigarette, sondern nur 10 % so gefährlich. Man muss sagen, die ist immer noch mit Risiken behaftet. Aber in der Größenordnung 10 %. Da gibt es mathematische Modellierungen aus anderen Ländern in Europa, aus England und aus den Niederlanden. Da wird das berechnet: Wie hoch ist das Krebsrisiko bei einem Switch auf E-Zigaretten?Das heißt, man kann schon die E-Zigarette empfehlen. In Deutschland ist es so, wir sind ja im europäischen Vergleich der Tobacco-Regulation von 37 Ländern auf Platz 35. Wir sind da nicht besonders gut, was das angeht. Wir bieten wenig aktive Beratung an. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung äußert sich dazu kaum bis gar nicht. Und selbst in Fachkreisen wird immer noch die E-Zigarette mit einer Art Vernebelungstaktik als schlecht dargestellt.
Das hängt auch damit zusammen, dass im Hintergrund, würde ich mal denken, Pharmaindustrie vs. Zigarettenindustrie so einen Lobbyismuskrieg führen. Das darf nicht sein. Sondern wir müssen schon die konkreten Daten nehmen, die wissenschaftlichen Studien, die auf dem Tisch liegen. Und da gibt es keine einzige, die beweist, dass die E-Zigarette schädlicher ist als die Zigarette. Im Gegenteil, es sind meistens klinisch nur Vorteile zu erkennen, wenn man es schafft, auf die E-Zigarette zu switchen. Insofern würde ich sagen, wenn jemand aufhören will, zu rauchen, nach Daniel Kotz die ABC-Regel, also A ist etwa das Gesprächsangebot, B ist eine Beratung und C ist dann das Coaching. Also in dieser neuen Studie, die jetzt stattfindet, vom GBA gefördert, gibt es ungefähr 15 bis 20 Videosessions mit Interviews. Das nennt sich Motivational Interview, wo die Leute erst mal auf das Problem hingeführt werden, dass Rauchen überhaupt das Problem ist, dass Raucher sich als problematisch selbst wahrnehmen. Das passiert nämlich in der Regel gar nicht. „Mir geht es gut und der Helmut Schmidt wurde auch 90 Jahre alt.“
Also das heißt, wir warten einerseits auf eine bessere Erstattungsfähigkeit von diesen psychologischen, auch telemedizinisch-psychologischen Beratungsverfahren. Das kann ja auch telemedizinisch erfolgen in Kombination mit Tabletten oder E-Zigaretten. Und diese Studie wird sozusagen den Wert der E-Zigarette im Vergleich zu anderen Verfahren nochmal mit Daten belegen an Gefäßpatienten. Das findet in Nordrhein-Westfalen statt und wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse dieser Studie.
DocCheck: Gibt es Leitlinien zum Thema und wenn ja, wie sieht es dort mit den Empfehlungen zur Raucherentwöhnung aus?
Storck: Ja, es gibt von der AWMF sogar eine S3-Leitlinie. Die wurde vor etwas mehr als zwei Jahren veröffentlicht. Da sind allerdings viele neue Studien noch nicht enthalten. Da wird ein Stufenkonzept empfohlen zur Rauchentwöhnung und die E-Zigarette ist da kaum erwähnt und wird nur in einer Fußnote von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin erwähnt, die eine abweichende Meinung formuliert hat. Das ist bei Leitlinien immer das Problem, das sind Mehrheitsentscheidungen.
Und eine Fachgesellschaft hatte sich da ein bisschen anders positioniert. Das kann man da aber nachlesen. Ich nehme an, und auch der Kollege Rüther und Anil Batra aus Tübingen, die sind alle da in diesen Leitlinien, auch Suchtmediziner. Die werden in der nächsten Version der Leitlinie zur E-Zigarette etwas mehr Platz einräumen, weil sich die Datenlage einfach verbessert hat, in den Reviews, dass auch E-Zigaretten zur Rauchentwöhnung führen, wenngleich viele Lungenfachärzte und Kardiologen einfach sozusagen pauschal sagen: „Wir wollen das trotzdem nicht empfehlen. Und wie können Sie denn?“ Und wir anderen Gegenargumente liefern wollen und sagen: Die Harm Reduction ist so wichtig für die Raucher, die jetzt eine Rauchentwöhnung benötigen, dass das nicht gegen die Leitlinie verstößt, wenn man die E-Zigarette auch heute schon empfiehlt.
Bildquelle: DocCheck und wild vibes, Unsplash