Probiotika sind im Trend – aber sind sie auch sicher? Bei welchen Erkrankungen sie tatsächlich hilfreich sein können und warum trotzdem Vorsicht geboten ist, erfahrt ihr hier.
Zusammenfassung:
Der menschliche Darm ist ein komplexes System, das eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Erkrankungen wie der nicht-alkoholischen Fettleber spielt. Prof. Christian Trautwein erklärt im Interview, wie das Mikrobiom die Funktion und den Stoffwechsel der Leber beeinflusst. Mittels gesunder Ernährung und regelmäßigem Sport kann man sein Mikrobiom stärken. Prof. Trautwein betont aber, dass eine gezielte Modulation des Mikrobioms bei jedem Patienten individuell erfolgen sollte. Studien müssen in Zukunft zeigen, wie Forscher einzelne Funktionen des Mikrobioms identifizieren und gezielt beeinflussen können, um Erkrankungen zu behandeln.
Transkript des Interviews mit Prof. Christian Trautwein zum Thema: Darm-Mikrobiom: Stochern wir im Dunklen? Es handelt es sich um eine 1:1-Abschrift des Gesprochenen im Video.
DocCheck: Hallo Herr Prof. Trautwein. Sie sind Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und Internistische Intensivmedizin an der Uniklinik Aachen und heute zum Interview hier bei uns zum Thema gezielte Modulation des Mikrobioms. Wir freuen uns sehr!
Prof. Christian Trautwein: Erst mal vielen Dank für die Einladung.
DocCheck: Sie konnten in Ihrer Forschung zeigen, dass eine ungünstige Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms einen Einfluss auf den Stoffwechsel der Leber hat und ein inflammatorisches Milieu begünstigt. Hier spielt es somit eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der nicht-alkoholischen Fettleber, aber auch bei anderen Erkrankungen. Korrekt?
Trautwein: Das ist richtig. Das ist genau das Problem. Wir haben im Endeffekt Fehlfunktionen im Bereich des Mikrobioms und diese Fehlfunktionen passieren auch auf verschiedenen Ebenen. Auf der einen Seite haben wir eine vermehrte, wie wir sagen „Translokation“, also einen Übertritt von bakteriellen Produkten in die Pfortader und damit in die Entzündung im Bereich der Leber, um das Immunsystem zu beeinflussen. Wir haben aber auch Veränderungen im Bereich der Gallensäuren, die eben anders verstoffwechselt werden und damit entsprechend auch Veränderungen nach sich ziehen. Das heißt, diese sogenannte Dysbiose des Mikrobioms verändert verschiedene Funktionen im Bereich der bakteriellen Komposition. Und das führt dazu, dass wir eine Fehlfunktion haben – auch in der Leber.
DocCheck: Das sind auf jeden Fall sehr interessante Erkenntnisse, die man immer wieder dazugewinnt. Mikrobiota hängen stark von Ernährungsgewohnheiten und Umwelteinflüssen ab. Können Sie hier Tipps – gerade auch für die niedergelassenen Kollegen, für die Hausärzte – mitgeben? Worauf ist zu achten bei den Patienten?
Trautwein: Es gibt natürlich viele Ernährungstipps: mediterrane Kost, viel Gemüse usw. Wichtig ist: Es gab ganz gute Untersuchungen, die zeigen, dass die Diversität des Mikrobioms individuell sehr unterschiedlich ist und dass eine Ernährungsintervention nur kleine Veränderungen macht, aber weiterhin die Diversität erhalten bleibt. Das heißt: Ernährung ist zwar prinzipiell günstig, das wissen wir auch von Mausexperimenten, aber es ist nur ein Teilaspekt in der Gesamtsituation des Verständnisses des Mikrobioms.
DocCheck: Gibt es noch andere Möglichkeiten, das Mikrobiom sinnvoll zu beeinflussen? Oder müssen wir vielleicht generell einen anderen Ansatz wählen?
Trautwein: Der entscheidende Ansatz ist der, dass man beim einzelnen Patienten die Funktion des Mikrobioms versteht. Mikrobiom hat Auswirkungen und auch Funktionsweisen auf ganz unterschiedliche Bereiche. Wie bereits erwähnt, zum Beispiel die Stimulation des Immunsystems. Wir haben verschiedene Stoffwechselprodukte, die im Darm entstehen, die teilweise protektiv oder nicht protektiv sind. Wir haben diese Gut-Liver-Axis. Diese Gut-Liver-Interaktion zwischen Portalfeldern und Gallenwegen, wo auch Funktionen entstehen.
Das heißt, das Mikrobiom wird durch so verschiedene Layer, so unterschiedliche Funktionen, beeinflusst. Das Nächste, was wir jetzt machen müssen, ist nicht nur zählen, wie viele Bakterien im Darm sind, sondern vielleicht auch irgendwann zählen, wie viele Pilze im Darm sind oder wie viele Viren im Darm sind. Entscheidend ist, dass wir definieren, was die Funktion des Mikrobioms ist. Vor allem, welche Funktion bei dem einzelnen Patienten entsprechend fehlgeschaltet ist.
Ein Beispiel ist wieder, womit Sie angefangen haben, in der ersten Frage: die nicht-alkoholische Fettleber. Da gibt es eine aktuelle Studie zum Beispiel, in Nature Medizin publiziert, die zeigt, dass bei Patienten mit Fettleber, Fettleberhepatitis intern Alkohol produziert wird im Mikrobiom und dass dort eine spezielle Bakterienuntereinheit dafür verantwortlich ist. Und jetzt hat man erst mal einen Ansatz, die praktisch zu verändern oder die auch zu eliminieren, z. B. durch Antikörper und dadurch gezielt diese Funktion der Alkoholproduktion zum Beispiel zu beeinflussen.
Und da müssen wir hinkommen. Wir müssen einzelne Funktionen, sei es jetzt Alkoholproduktion, sei es der Gallensäurestoffwechsel – die müssen wir verstehen und die Fehlregulation aufdecken. Dann können wir erst wirklich intervenieren. Ich glaube, das ist die Erkenntnis, dass wir nicht sagen, blind, Mikrobiom: Soundso viele Bakterien sind da drin. Sondern: Was ist die Funktion, was ist fehlgeschaltet? Wie in der richtigen Medizin. Wir machen erst eine Diagnose und dann die Therapie. Und das muss man beim Mikrobiom auch machen.
DocCheck: Damit ist ja die nicht-alkoholische Fettleber eigentlich doch irgendwo eine alkoholische Fettleber, auch wenn der nicht extern zugeführt wird?
Trautwein: Absolut. Also es gibt durchaus Hinweise dafür, dass eben im Rahmen von Stoffwechselprodukten das Mikrobiom verschiedene Funktionen einnimmt. Unter anderem auch die Alkoholproduktion. Und deswegen macht es das den Pathologen ja auch so schwierig, dass sie sagen: Haben wir eine ASH oder eine oder eine NASH? Das heißt auch, die Differenzierung zwischen alkoholischer und nicht-alkoholischer Hepatitis ist deswegen für Pathologen auch durchaus schwierig, weil genau dieser Aspekt dazu kommt.
DocCheck: Absolut. Probiotika sind ja ein großer Hype momentan im Internet, in den sozialen Medien. Immer mehr Hersteller bringen ihre Produkte auf den Markt. Für wen sagen Sie denn, ist es überhaupt sinnvoll, solche Produkte einzunehmen?
Trautwein: Also zum jetzigen Zeitpunkt finde ich das extrem schwierig. Ich glaube, es hilft immer – vor allem der Industrie, die das ja Verkaufen. Also ich glaube, es ist ein legitimes Recht für jede Industrie, damit Geld zu machen. Und das will ich gar nicht unterstellen. Wichtig ist, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt wissen, dass die eingesetzten Probiotika erst mal nicht schädigend einwirken. Weil, man kann ja auch diskutieren, wenn man irgendwas Neues einbringt und die Funktion nicht versteht, kann es zu einer Fehlregulation führen.
Deswegen, glaube ich, sind Probiotika prinzipiell attraktiv. Man wird vielleicht auch irgendwann die Funktion besser verstehen und ein gezielter Einsatz wird möglich sein. Wichtig sind auch hier Studien, um zu schauen, dass es wirklich ein positiver Effekt ist. Aber ich glaube, das müssen wir auch noch erreichen, dass wir bei allen Probiotika, die eingesetzt werden, Phase-III-Studien haben für eine spezielle Funktion – und dann auch beweisen können, dass es wirklich hilft.
Insofern bin ich eher ein Verfechter dafür, sich gesund zu ernähren, weil es prinzipiell gut ist. Ich bin Verfechter, regelmäßig Sport zu machen, weil es auch gut ist und darüber entsprechend erst mal ein gesundes Mikrobiom zu haben. Und ich würde eben bei Probiotika, solange sie nicht schädigen, sagen: Ja, kann man einsetzen, aber uns fehlen wirklich gute Phase-III-Studien, wie wir sie auch bei anderen Einsätzen in der Medizin kennen, um sicher zu sein, dass Probiotika auch entsprechend hilfreich sind.
Insofern kann ich sagen: Probiotika helfen im Zweifelsfall auf jeden Fall dem Hersteller – ob es den Patienten hilft, wissen wir nicht genau.
DocCheck: Vielleicht bei speziellen Indikationen wie Reisedurchfall, um die Flora wieder aufzubauen. So was sind vielleicht Ausnahmen?
Trautwein: Also, nach einer Reise die Flora wieder aufbauen, da wird man ja vielleicht auch in der Situation, wenn man es hat, durchaus gezielt zum Arzt gehen. Zu gucken, gibt es einen speziellen Keim, der da ist, den man entsprechend therapieren kann oder vielleicht auch nicht therapieren muss. Aber auch da ist es, glaube ich, wichtig, erstmal eine klare Diagnose zu haben. Wenn ich einen Patienten habe mit Reisediarrhoe und einfach mal Probiotika einsetze … ja, kann man machen, hilft vielleicht auch, ist richtig, aber besser ist am Anfang erst mal eine klare Diagnose. Gibt es einen Keim? Gibt es einen Typhus? Gibt es irgendwelche anderen bakteriellen Infektionen, die da sind? Und dann aufgrund der Diagnose zu sagen: Das macht jetzt Sinn. Insofern bin ich immer ein Verfechter einer klaren Diagnose, auch bei Probiotika, bevor ich eine Therapie beginne.
DocCheck: Jetzt gibt es aber auch gewisse Patientengruppen vielleicht, die Probiotika nicht so leichtfertig einnehmen sollten. Stichwort: gestörte Darmbarriere.
Trautwein: Genau. Also ich glaube prinzipiell auch, wie grade erwähnt, Probiotika einfach einzusetzen, ist potenziell auch gefährlich und deswegen bin ich kein Fan von Probiotika. Weil ich einfach im Moment die Indikationen und auch die richtigen Phase-III-Studien, um zu zeigen, dass es wirklich bei speziellen Indikationen hilft, die fehlen mir. Und da bin ich eher konservativ. Wir manipulieren dadurch das Mikrobiom. Der eine Patient, für den kann es positiv sein, aber es kann für den anderen Patienten auch negativ sein und deswegen würde ich bei generellen Probiotika eher zumindest zurückhaltend sein.
DocCheck: Vielen Dank für diese Neuigkeiten und Ihre Zeit und noch viel Spaß hier auf dem Kongress.
Trautwein: Vielen Dank! Alles Gute.
Bildquelle: DocCheck und Tim Foster, unsplash (mobile Ansicht)